Das Handwerksbildungszentrum Brackwede Fachbereich Bau e.V. (kurz: HBZ) und der bundesweit tätige Bildungsträger inab Ausbildungs- und Beschäftigungsgesellschaft des bfw mbH (kurz: inab) führen seit April 2021 gemeinsam das Projekt „MSE-VET Italy“ durch. MSE-VET steht für Micro and Small Enterprises – Vocational Education and Training in Italien. Unterstützt werden sie von der Handwerkskammer Südthüringen und verbinden somit Handwerk und Gewerkschaftsakteure in einem sozialpartnerschaftlich ausgerichteten Kooperationsprojekt. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Richtlinie zur Förderung von Implementierungsprojekten von Organisationen der Wirtschafts- und Sozialpartner im Rahmen der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit (WiSoVET) gefördert. Im Interview berichten Lena Weber (inab) und Susan Klaus (HBZ) vom bisherigen Projektverlauf.
Berufliche Bildung ist ein wirksames Instrument gegen Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel und auch eine wichtige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben. Welche Bedeutung haben das Handwerk und handwerkliche Berufsbildung in Italien?
Susan Klaus: Eine gute Ausbildung, die junge Menschen dazu befähigt, später als Fachkraft im Handwerk tätig zu sein, ist für die wirtschaftliche Zukunft nicht nur in Deutschland, sondern in allen italienischen Regionen von großer Bedeutung. Auch wenn es je nach geografischer Lage und historischer Entwicklung unterschiedliche und teilweise sehr einzigartige Handwerke gibt, ist davon auszugehen, dass kleine Unternehmen nur durch umfassend und „über den Tellerrand der eigenen Zunft hinaus“ ausgebildete Menschen auf Dauer wettbewerbsfähig sein können.
Vor allem mangelt es zunehmend an jungen, gut ausgebildeten Menschen. Laut einer Studie von Unioncamere und InfoCamere über die Entwicklung der einzelnen Handwerksbetriebe in den letzten zehn Jahren, droht der Handwerkssektor in Italien trotz eines Anteils von fast 10 % am BIP und eines Anteils von ca. 21 % an den Unternehmen immer weniger junge Menschen anzuziehen. In den letzten zehn Jahren sind landesweit rund 28.000 von unter 30-Jährigen geführte Betriebe verloren gegangen, was einem Rückgang von fast 42 % gegenüber 2011 entspricht. Andererseits ist die Zahl der von den über 30-Jährigen geführten Einzelunternehmen um 47 % gestiegen, mit Spitzenwerten von über 50 % in Süditalien. Dieser schwierige Generationenwechsel könnte die Zukunft der Handwerksbetriebe belasten. Insbesondere die Einzelunternehmen, die über 80 % des Sektors ausmachen, verzeichneten die größten Verluste.
Lena Weber: Die Ausbildungsinhalte und -prozesse selbst zu bestimmen und gleichzeitig zu vermitteln, ist in den meisten Kleinunternehmen unmöglich, weshalb diese auf externe Bildungsträger und weitere Hilfen zurückgreifen können sollten, ähnlich, wie es in Deutschland durch das System der dualen Berufsbildung mit der überbetrieblichen Ausbildung gewährleistet ist. Auch in Italien gibt es seit 2015 ähnliche Bestrebungen, die allerdings noch nicht flächendeckend und vor allem nicht von Klein- und Kleinstunternehmen genutzt werden. Die Pandemie hat die Lage noch verschärft, wenngleich sie zumindest die Digitalisierung in der Ausbildung vorangebracht hat.
Im Projekt arbeiten wir mit gewerkschaftlichen Partnern aller drei großen italienischen Gewerkschaftsverbände sowie mit anderen Berufsbildungsakteuren der Berufsbildungszusammenarbeit in den vier Regionen Piemont, Kampanien, Venetien und der Toskana zusammen. Unsere Online-Recherchen sowie die Recherchen unserer Partner jeweils vor Ort haben ergeben, dass es unbedingt notwendig ist, die duale Berufsausbildung derart zu fördern, dass Klein- und Kleinstunternehmen, vor allem im Handwerk, in die Lage versetzt werden, mehr – vor allem junge Menschen – in der Region gut und zeitgemäß auszubilden und diese dann auch im Anschluss an die Ausbildung beschäftigen zu können, um eine Abwanderung und damit ein Fortschreiten der Überalterung in den Regionen zu vermeiden.