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Kooperationsprojekt von Handwerk und GIZ in Jordanien: Gelungene Imagekampagne und vieles mehr

Seit 2019 kooperiert die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH im Rahmen des Projekts Beschäftigungsorientierte Qualifizierung im Handwerk mit einer Gruppe von Handwerkseinrichtungen, um Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Jordanien eine Zukunft im Handwerk zu ermöglichen. Anette Kasten, Beraterin für Entwicklungszusammenarbeit (Business Scout for Development) beim Zentralverband des Deutschen Handwerks, berichtet über dieses Projekt.

Berufliche Bildung ist ein wirksames Instrument gegen Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel und auch eine wichtige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben. Welche Bedeutung haben das Handwerk und handwerkliche Berufsbildung in Jordanien, dem Partnerland Ihres Projekts?  

Jordanien ist flächenmäßig in etwa so groß wie Österreich. Es besteht zu 80 % aus Wüstenlandschaften und hat zwei Zentren wirtschaftlicher Aktivität, das größere im Nordwesten um die Hauptstadt Amman und ein kleineres im Süden bei Aqaba am Roten Meer. Die Gesamtbevölkerung beträgt etwas über 10 Mio. Einwohner, davon sind rund 3 Mio. Menschen Geflüchtete aus verschiedenen Konflikten der Region.

Das traditionelle Kunsthandwerk, Bildhauer, Kunstmaler, Töpfer oder auch das Bäckerhandwerk, ist – wie in vielen Ländern des Nahen Ostens – eine feste Größe in der Wirtschaftsleistung. Was allerdings fehlt, ist die technische Weiterentwicklung klassischer Handwerksberufe – wie sie heute z. B. im Bau- und Ausbaugewerbe benötigt werden – und natürlich das moderne technische Handwerk insgesamt.

Die Bedeutung des Handwerks, seine Modernisierung und die Etablierung neuer handwerklicher Berufe hat in der jordanischen Gesellschaft jedoch keinen hohen Stellenwert. Die akademische oder auch die kaufmännische, administrative oder technische Ausbildung stehen ganz oben auf der Wunschliste der meisten Familien, wenn es um die berufliche Zukunft ihrer Kinder geht. Diese sollen möglichst einen sicheren Arbeitsplatz in Staat und Armee erlangen oder in den wenigen Industriebranchen des Landes Arbeit finden.

Blick auf Amman
Blick auf Amman; Bild: Dimitris Vetsikas via pixabay

Wie ist das Projekt entstanden und welche Ziele verfolgt es?

Ziel des Projektes, das von meinem Vorgänger gemeinsam mit dem ZDH, und der GIZ in Jordanien in den Jahren 2017- 2018 initiiert wurde, war die Einführung moderner Handwerksberufe und die technische Weiterentwicklung bestehender handwerklicher Berufe sowie eine gesellschaftliche Aufwertung des Handwerks an sich. Der Bürgerkrieg in Syrien und die Situation der Staaten Jordanien, Libanon, Türkei, welche Geflüchte in großen Zahlen aufnahmen, war ebenfalls ein entscheidender Punkt. Das Vorhaben ist Teil der Sonderinitiative “Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlinge reintegrieren” des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Es richtet sich sowohl an syrische Geflüchtete als auch an vulnerable jordanische Bevölkerungsgruppen. Im Mittelpunkt stehen Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 18 und 30 Jahren.

Wie unterscheidet sich dieses Projekt von früheren Projekten, die die beteiligten Handwerksorganisationen bereits im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit durchgeführt haben?

Die meisten Handwerksorganisationen (HWO) hatten bis dahin hauptsächlich EZ-Erfahrungen mit Berufsbildungspartnerschaften (BBP) und Kammer- und Verbandspartnerschaften (KVP) der sequa. Bei diesen Programmen müssen die HWO in den Partnerländern selbst Strukturen aufbauen, um die Projekte in eigener Regie und Budgetverantwortung durchzuführen.

Das Vorhaben Beschäftigungsorientierte Qualifizierung im Handwerk ist hingegen im bilateralen Schwerpunkt „Berufsausbildung und Beschäftigung“ der GIZ in Jordanien verankert. Deswegen agieren die HWO in diesem Fall im Unterauftrag der GIZ und können von der existierenden GIZ-Struktur in Jordanien profitieren. 

Im Rahmen dieses Projekts arbeitet der Zentralverband des Deutschen Handwerks mit GIZ und mehreren Handwerkseinrichtungen zusammen. Wie wurde dieses Konsortium gebildet und welche Aufgaben übernimmt der ZDH darin?

Der ZDH hat seinen Mitgliedern dieses Kooperationsprojekt mit der GIZ in Jordanien zu Beginn vorgestellt und für die Mitarbeit geworben.

Im laufenden Vorhaben ist der ZDH Sprachrohr des Handwerks zu der GIZ-Projektleitung geworden und tauscht sich mit dieser über die Aktivitäten sowie zu möglichen weiteren Aufgaben aus, die von Handwerksorganisationen übernommen werden könnten.

Meine Aufgabe hier ist eine Scharnierfunktion zwischen allen Beteiligten nach innen und die Kommunikation des Vorhabens nach außen.

Eine entscheidende Veranstaltung zur Bildung der heute bestehenden Kooperationsstruktur war der „Kick-Off-Workshop“ im März 2019. Dazu hatte die GIZ in Jordanien die interessierten Handwerksorganisationen und den ZDH nach Amman eingeladen. Auch verschiedene jordanische Institutionen und Organisationen der beruflichen Bildung nahmen an dem Workshop teil. Alle Teilnehmenden loteten gemeinsam aus, welche Gewerke besonders interessant für Jordanien sind und welche Maßnahmen die deutschen HWO in das Projekt einbringen können.

Blick in den Konferenzraum beim Kick-Off-Workshop. Foto: © GIZ / Sela
Blick in den Konferenzraum beim Kick-Off-Workshop für das Projekt. Foto: © GIZ / Sela

Nach dem Kick-Off-Workshop haben drei deutsche Handwerksorganisationen – Bauverbände NRW e. V.1), Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf2) und Kreishandwerkerschaft Hersfeld-Rotenburg – mit verschiedenen jordanischen Partnern die Berufsprofile identifiziert, die sie in der Folge gemeinsam bearbeiten würden. Dies sind Berufe aus dem Bauhaupt- und Ausbaugewerbe, dem Bäckerei- und Friseurhandwerk (inkl. Kosmetik), Metall- und Feinwerkhandwerk (CNC), Schweißtechnik, Tischlerei, Malerei, Lackiererei.

Die wichtigsten Projektaufgaben gliedern sich auf in:

  • Verbesserung bestehender Qualifizierungsmaßnahmen für das Lehrpersonal jordanischer Ausbildungsinstitutionen.
  • Analyse, Weiterentwicklung und Verbesserung bestehender Curricula.
  • Entwicklung und Durchführung einer nationalen Imagekampagne für das Handwerk in Jordanien
  • Weiterbildung für Management und Lehrpersonal von Ausbildungsinstitutionen, Kammern und Verbänden – inkl. einer Studienreise nach Deutschland.
  • Unterstützung bei der Weiterentwicklung von Akkreditierungs- und Zertifizierungsprozessen für ausgewählte Handwerksberufe.

Wer sind Ihre maßgeblichen Unterstützer im Projekt?  

Das Vorhaben wird durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert und durch die GIZ in Jordanien zusammen mit den beschriebenen Handwerksorganisationen, aber auch weiteren Partnern umgesetzt.

Der politische Partner in Jordanien ist das Ministerium für Arbeit. Vor Ort wird mit verschiedenen Institutionen und Organisationen des öffentlichen, privaten und Non-Profit-Sektors zusammengearbeitet. Hierzu zählen Träger der beruflichen Bildung, Ausbildungszentren, Kammern und Verbände sowie lokale und internationale NGOs.

Was sind die wichtigsten bisherigen Ergebnisse des Projektes?

Zum jetzigen Zeitpunkt (Dezember 2020) haben 1.751 Jugendliche (davon 51 % Frauen und 37 % syrische Geflüchtete) an den angebotenen Informations- und Beratungs- und Trainingsmaßnahmen teilgenommen. Von diesen haben 1.341 Teilnehmer*innen zusätzlich eine berufliche Ausbildung im handwerklichen Bereich abgeschlossen.

Ein besonders sichtbares Ergebnis dieses Projekts war die erste Phase der landesweiten Imagekampagne. Diese Projektkomponente lag im Verantwortungsbereich der Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf und der jordanischen Partnerorganisation Education for Employment Jordan. Die jordanische Image-Kampagne folgte dem Modell der Imagekampagne des deutschen Handwerks und wurde von den Beteiligten für den jordanischen Kontext angepasst.

Imagekampagne – Foto: © GIZ und EFE Jordan

Teil der Imagekampagne waren ein Werbevideo, das in den sozialen Netzwerken und auf verschiedenen Online-Plattformen gezeigt wurde. Dazu liefen Radiospots, TV- und Radio-Interviews sowie eine Plakatkampagne im gesamten Land. Eine Umfrage unter 200 befragten Personen ergab, dass sich nach der Kampagne ein größerer Anteil von ihnen eine Zukunft ihrer Kinder, und auch Jugendliche selbst, eine Zukunft als Handwerker oder Handwerkerin vorstellen konnten. 

Welche Hürden haben Sie im Rahmen der Projektarbeit bereits bewältigt und welchen Herausforderungen sehen Sie sich noch gegenüber? 

Insgesamt nahm die jordanische Seite die deutschen Handwerksorganisationen mit großer Offenheit auf. Hürden gab es dort, wo die Erwartungen beider Partner, sowohl auf jordanischer als auch auf deutscher Seite nicht den Realitäten vor Ort und den Möglichkeiten des Projekts entsprachen. Insgesamt mussten sich die Partner auf völlig unterschiedliche Ausbildungsstandards und die Logik der zuständigen Institutionen einstellen.

Zum Beispiel liegen die Ausbildungszeiten jordanischer Bauberufe zwischen 2 und 9 Monaten, während diese Ausbildungen in Deutschland zwischen 2 und 3,5 Jahren dauern. Auch haben in manchen jordanischen Institutionen die Ansprechpartner gewechselt, so dass es zu Verzögerungen kam und Projektteile nicht in dem geplanten Zeithorizont umgesetzt werden konnten.

Foto: © Hartmann

Und schließlich muss bei Einsatzzeiten deutscher Kurzzeitexperten von 3-20 Tagen so effizient wie möglich vorbereitet und gearbeitet werden, um das jeweilige Projektziel zu erreichen. Dies gelang aufgrund von Einschränkungen administrativer, aber auch technischer Art nicht immer vollständig.

Ein Beispiel dafür ist der Einsatz einer Putzmaschine bei den Stuckateur-Trainings, die nach dem Verputzen von zwei Wänden ihren Dienst versagte. Eine weitere Maschine musste in Betrieb genommen werden, um das in den Schläuchen befindliche Material heraus zu fördern. Denn es bestand die Gefahr, dass das Material im Putzschlauch erhärten und diesen verstopfen würde. Den jordanischen Trainern und Verantwortlichen war die Lage sehr unangenehm. Doch gerade eine solche Situationen, die auch im realen Baubetrieb vorkommen kann, ist für die Teilnehmer sehr lehrreich, insbesondere, wenn sie in den Prozess der Lösungsfindung mit einbezogen werden.

Welche Auswirkungen – hinsichtlich der Einschränkungen im Rahmen der Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung – gibt es auf das Projekt? Wie gehen die jeweiligen Projektpartner damit um?

 Die größte Hürde bei der Umsetzung des Vorhabens war der Wegfall aller Präsenzveranstaltungen aufgrund der Corona-Pandemie ab März 2020. Die Projektteilnehmer beider Seiten haben allerding sehr flexibel darauf reagiert. Alle Einsätze, die sich mit theoretischem Wissen, wie Curricula-Entwicklung, Management und Verwaltung, Akkreditierung/Zertifizierung befassten, konnten mit digitalen Medien durchgeführt werden.

Die deutschen und jordanischen Partner, welche die Imagekampagne umsetzen sollten, hatten sich in nur wenigen Einsätzen zuvor persönlich kennengelernt. Alle folgenden Entwicklungsschritte gingen die Partner in gemeinsamen MS-Teams-Sitzungen. So konzipierten sie die Kampagne, setzten Themen, wählten Darsteller und erstellten die Filme dieser sehr gelungenen Kampagne, ohne sich ein weiteres Mal persönlich zu treffen. Die jordanischen Partner übernahmen unter diesen Gegebenheiten eine viel stärkere Rolle und machten die Imagekampagne zu ihrem Projekt.

Imagekampagne – Foto: © GIZ und EFE Jordan

Was der Corona-Krise jedoch zum Opfer fiel, waren die Einsätze zu technischen Schulungen, die auf handwerkliche Fähigkeiten und Fertigkeiten abzielen. Diese müssen zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden. Aktuell habe ich – gemeinsam mit dem Business Scout for Development  der HWK Frankfurt-Rhein-Main – BMZ-Sondermittel (Corona-Response) beantragt, um Video-Lehrserien zu drehen, die auch bei anderen Einsätzen in Entwicklungsländern genutzt werden können. Sie stellen während der Corona-Pandemie einen teilweisen Ersatz von Präsenzschulungen dar. In Zukunft können solche digitalen Formate dazu dienen, die Präsenzschulungen besser vor- und nachzubereiten.

 Umweltschutz sowie soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit sind für das Handwerk wichtige Themen. Welche Rolle spielen die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit im Projekt?

 Alle Unterweisungen handwerklicher Fähigkeiten in den Partnerländern werden nach deutschen Nachhaltigkeits- und Umweltstandards unterrichtet. Auch bei der Weiterentwicklung der Curricula gehen diese Standards in die Lehrwerke ein und bilden somit einen Teil der Modernisierung des Handwerks in den Partnerländern. Wichtig dabei ist allerdings der persönliche Austausch, da es geradebei diesen Themen großen Diskussionsbedarf aufgrund der zumeist sehr unterschiedlichen Verhältnisse in den Partnerländern und in Europa gibt. 

Welche Erfahrungen haben Sie im Projekt mit den SCIVET-Instrumenten gemacht?

Die ersten Projektphasen waren durch das Kennenlernen der verschiedenen Standards und Anforderungen gekennzeichnet, auf die sich die Teilnehmenden von beiden Seiten einstellen mussten. In der zweiten (2021/22) und dritten Projektphase (2023/24) sollten die SCIVET-Instrumente von den Experten der HWO stärker genutzt werden.

Welche Interessen hat die GIZ an dieser Zusammenarbeit? Welchen Nutzen ziehen Sie daraus?

In der GIZ erlangen Handwerksprojekte eine zunehmend größere Bedeutung. Gerade die GIZ-Kollegen*innen, die vor Ort tätig sind, sehen die Folgen der Vernachlässigung des Handwerks in Entwicklungs- und Schwellenländern. Durch mangelnde Fachkenntnis besonders im technischen Bereich (Elektrik/Elektronik, Sanitär-Heizung-Klima, Metallbau, Bauhaupt- und Ausbaugewerbe, KFZ-Mechatronik, Facility Management) aber auch in den traditionellen Gewerken, z. B. der Nahrungsmittelindustrie und des Kunsthandwerks, können moderne Maschinen nicht bedient und aktuelle Arbeitsprozesse nicht eingeführt werden.

Auch hat die Industrie keinen Mittelbau von Expert*innen, die für den Aufbau einer modernen Infrastruktur notwendig sind. In den bilateralen Vereinbarungen der Partnerländer mit der deutschen Regierung werden daher verstärkt Handwerks- und Ausbildungsprojekte initiiert, die von der GIZ mit kompetenten Handwerksorganisationen und einzelnen Handwerkern umgesetzt werden.

Dieses Projekt ist ein gutes Beispiel, wie eine Kooperation zwischen der GIZ und deutschen Handwerksorganisationen gelingen kann und könnte künftig auch in anderen Ländern Schule machen. 

Wie könnte sich das aktuelle Projekt weiterentwickeln und wie könnte die Zusammenarbeit zukünftig gestaltet werden?

Die Weiterentwicklung des Projekts sieht vor, ein neues Ausbildungszentrum in Aqaba auszubauen und zu unterstützen. Neben den Handwerksberufen werden auch Maßnahmen zur Karriereberatung und kaufmännisches Wissen integriert.

Darüber hinaus sollen weitere Berufe, die auch im Schwerpunkt des jordanischen Ministeriums für Arbeit liegen, gefördert werden, u. a. Facility Management und KFZ-Mechatronik für Elektro- und Hybridfahrzeuge.

Dazu werde alle Maßnahmen, die durch die COVID-19-Pandemie verschoben werden mussten, nachgeholt, zum Beispiel zwei Studienreisen nach Deutschland sowie die ausgefallenen Präsenzveranstaltungen.

Fußnoten

Realisiert wird das Projekt durch die:

  1. Gesellschaft zur Förderung des Baugewerbes NRW mbH (für die Bauverbände NRW e. V.)
  2. KH Service- und Wirtschaftsgesellschaft mbH (für die Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf)

 

 

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