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Die Handwerkskammer Karlsruhe und China: Azubiaustausch, duale Ausbildung und Prüfungswesen

Im Interview berichtet Dr. Patrick Jakob, Leiter der Bildungsakademie der Handwerkskammer Karlsruhe, von deren Kooperation mit chinesischen Partnern. Gemeinsam fördern die Partner den Aufbau dualer Berufsbildungsstrukturen in China und den internationalen Austausch von Auszubildenden. Im Gespräch beleuchten wir die Herausforderungen und Chancen, die sich aus der Zusammenarbeit ergeben – von der handlungsorientierten Prüfung bis zur Elektromobilität.

Das Interview wurde am 11. Oktober 2024 geführt.

Welche Bedeutung haben das Handwerk und die handwerkliche Berufsbildung in China?

PJ: Zunächst einmal vielen Dank für die Möglichkeit, dieses Interview zu führen. Dem Handwerk kommt in China eine besondere Bedeutung zu, vor allem wegen des dualen Ausbildungssystems. In China ist die Ausbildung rein schulisch organisiert, wohingegen die duale Ausbildung durch die Kombination von Betrieb, Berufsschule und überbetrieblicher Lehrlingsunterweisung im Handwerk besonders hervorsticht. Vor allem die praktischen Fähigkeiten werden in der überbetrieblichen Unterweisung vertieft, was für die chinesische Seite besonders interessant ist.

SG: Also liegt euer Fokus wirklich auf der dualen Ausbildung und wie sie in China funktionieren könnte?

PJ: Genau, die Herausforderung besteht darin, dieses System in den chinesischen Kontext zu übertragen.

Ministerpräsident Kretschmann 2015 in China. Foto: HWK Karlsruhe
Ministerpräsident Kretschmann 2015 in China. Foto: HWK Karlsruhe

Dr. Patrick Jakob, Leiter der Bildungsakademie der Handwerkskammer Karlsruhe

Wie ist die Kooperation entstanden und welche Ziele verfolgt ihr damit?

PJ: Die Kooperation geht schon auf das Jahr 2006 zurück. Es gibt eine lange Partnerschaft zwischen dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg und China. 2014 hat der damalige und amtierende Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, eine Vereinbarung zur beruflichen Zusammenarbeit unterzeichnet. 2015 wurde dann der gemeinnützige Verein „Deutsch-Chinesischer Freundeskreis zur Förderung der Zusammenarbeit in der Beruflichen Bildung“ gegründet. Mitglieder sind aktive und ehemalige Mitglieder der Kultusbehörde. Der Name ist etwas sperrig, aber das Ziel ist klar: die Kooperation im Bereich der beruflichen Bildung zu intensivieren. Dazu gibt es regelmäßig Expertenbesuche, Berufsbildungskongresse und einen Austausch von Auszubildenden beider Länder. Ziel ist es, das duale Ausbildungssystem vorzustellen und an die Verhältnisse vor Ort in China anzupassen. 2014 wurde die Handwerkskammer Karlsruhe dann zur federführenden Organisation des Handwerks in Baden-Württemberg für diese internationale Zusammenarbeit ernannt. Für unser Engagement war die feierliche Unterzeichnung einer Vereinbarung durch unseren damaligen Hauptgeschäftsführer in China im Jahr 2015 der Startschuss. Darin erklärten wir uns gemeinsam mit dem Deutsch-Chinesischen Freundeskreis bereit, für ausgewählte Auszubildende Praktika zu organisieren und sie hier vor Ort zu unterstützen.

Vertreter der HWK Karslruhe und des Deutsch-Chinesischen Freundeskreises 2019 in China. Foto: HWK Karlsruhe
Vertreter der HWK Karslruhe und des Deutsch-Chinesischen Freundeskreises 2019 in China. Foto: HWK Karlsruhe

SG: Bisher kamen die Auszubildenden also eher aus China nach Deutschland. Ist auch geplant, dass deutsche Auszubildende nach China gehen?

PJ: Ja, bisher war es eher einseitig. Chinesische Auszubildende kamen zu uns, aber es ist durchaus angedacht, die Kooperation auch in die andere Richtung auszubauen.

Was waren die wichtigsten Stationen der Kooperation nach dem Startschuss von 2015?

PJ: Die Unterzeichnung der Vereinbarung war 2015, und danach hat es etwas Vorarbeit gebraucht. Das erste große Projekt war dann 2017, als wir einen Praktikantenaustausch im Bereich Kraftfahrzeugtechnik organisiert haben. Wir haben unsere Mitgliedsbetriebe angeschrieben, um sie dafür zu gewinnen, chinesische Auszubildende für drei Monate aufzunehmen. Das war am Anfang nicht einfach, denn viele Betriebe waren zuerst skeptisch. Der Andrang auf chinesischer Seite war sehr groß. In China gab es ein umfangreiches Auswahlverfahren, bei dem die praktischen Fähigkeiten und die Englischkenntnisse der Teilnehmer geprüft wurden. Schließlich wurden 15 Auszubildende ausgewählt, die von September bis Dezember nach Deutschland kamen. Sie haben in unseren Mitgliedsbetrieben gearbeitet, eine Woche in der Berufsschule und eine Woche bei uns in der Bildungsakademie in der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung verbracht. So haben sie alle Aspekte der dualen Ausbildung kennengelernt. Im Nachgang habe ich mit allen Praktikumsbetrieben gesprochen und ein durchweg positives Echo erhalten. Der Tenor der Betriebe war: „Das würden wir sofort wieder machen. Es war eine tolle Erfahrung!“

Auswahlgremium für den Austausch von Auszubildenden 2017. Foto: HWK Karlsruhe
Auswahlgremium für den Austausch von Auszubildenden 2017. Foto: HWK Karlsruhe

SG: Das klingt nach einem großartigen Projekt! Wie ging es nach dem Lehrlingsaustausch weiter?

PJ: 2019 haben wir China erneut besucht, um an die bisherigen Projekte anzuknüpfen. Es wurden mehrere Schulen besucht und wir haben festgestellt, dass die chinesische Seite auch an unserem Prüfungssystem interessiert ist – insbesondere an der Gesellenprüfung. Die Chinesen legen viel Wert auf Zertifikate und Prüfungen. Deshalb entstand der Wunsch, eine Prüfung nach deutschem Vorbild in China einzuführen. Die Corona-Pandemie zwang uns eine Besuchspause auf, die wir mit Videokonferenzen überbrückten. Darin erklärte ich beispielsweise die Besonderheiten eines deutschen Prüfungsausschusses, der aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern besteht und diese eigenständig agieren.

Wir haben dann 2023, als auch Reisen wieder möglich waren, den „Ball“ aufgenommen und sind nach Peking gereist, um vor Ort Gespräche zu führen und unter anderem auch das Thema „Prüferschulung“ zu besprechen. Daraus wurde dann im Sommer 2024 ein ganz konkretes Projekt: Sechs Berufsschullehrer aus China kamen zu uns an die Bildungsakademie, wurden drei Tage lang geschult und bekamen auch aus erster Hand des Prüfungsausschussvorsitzende im Bereich KFZ-Technik einen Einblick in das deutsche Prüfungswesen. In der Schulung haben wir auch praktische Prüfungsteile in den Werkstätten gezeigt, um den chinesischen Lehrern zu vermitteln, wie Prüfungen in Deutschland ablaufen. An einem vierten und letzten Tag haben wir gemeinsam überlegt, wie man dieses System in China implementieren könnte. Die Unabhängigkeit eines Prüfungsausschusses und die Besetzung mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern zeichnete sich dabei für die Chinesen als besondere Herausforderung ab.

Impression aus der Prüferschulung 2024 in der Bildungsakademie der Handwerkskammer Karlsruhe. Foto: HWK Karlsruhe
Impression aus der Prüferschulung 2024 in der Bildungsakademie der Handwerkskammer Karlsruhe. Foto: HWK Karlsruhe

SG: War das Thema „handlungsorientiertes Prüfen“ auch Teil eurer Schulung? Schließlich muss das Prüfungsformat zur Rechtsgrundlage des Landes passen.

PJ: Ja, das war ein großes Thema. Der Vorteil ist, dass die Modellschulen, mit denen wir zusammenarbeiten, sich bereits am deutschen Ausbildungssystem orientieren. Diese Schulen setzen Elemente der Handlungsorientierung im Unterricht um, weg vom Frontalunterricht.

SG: Wird die Ausbildung an diesen Modellschulen in China auch staatlich anerkannt?

PJ: Ja, die Ausbildung ist in China staatlich anerkannt, obwohl sie an das deutsche System angelehnt ist.

Wie wirken sich die internationalen politischen Spannungen, wie etwa die Einschätzung Chinas als „Partner, Wettbewerber und Systemrivale“, auf eure Zusammenarbeit aus?

PJ: Die Diskussionen, insbesondere im Zuge des Ukrainekriegs, haben natürlich Auswirkungen. Die internationale Konkurrenz ist stärker geworden. Trotzdem bietet diese Konkurrenz auch Chancen, insbesondere in Bezug auf Innovationen und technischen Fortschritt. Es ist wichtig, diese Entwicklungen differenziert zu betrachten. Auch in unseren Gremien – wie dem Vorstand der Handwerkskammer – haben wir das bewusst diskutiert. Das Projekt wurde durchaus kritisch betrachtet. Letztlich überwog in der Bewertung aber die Feststellung, dass man sich nicht abschotten könne und die Kooperation auch Chancen birgt. Die Menschen vor Ort begegnen uns bei Besuchen offen, freundlich und zuvorkommend und die gemeinsamen Projekte werden toll umgesetzt.

Welche Hürden und Herausforderungen habt ihr auf dem Weg schon bewältigt, und welche gibt es noch?

PJ: Eine Herausforderung ist das Thema Visum. Auszubildende außerhalb der EU erhalten normalerweise kein Visum für ein Praktikum in Deutschland. Zum Glück hat der Deutsch-Chinesische Freundeskreis hier gute Beziehungen gepflegt, sodass wir eine Lösung finden konnten. Ein weiteres Thema ist die Sprache. Grundkenntnisse in Englisch waren bei den chinesischen Auszubildenden zwar vorhanden, aber in den Betrieben wird viel mit Fachbegriffen gearbeitet und nicht jeder deutsche Handwerker spricht perfekt Englisch. Doch über praktische Tätigkeiten, mit Händen und Füßen, wurde diese Sprachbarriere überwunden.

Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind ja zentrale Themen im Handwerk. Welche Rolle spielen diese Aspekte in eurer Kooperation mit China?

PJ: Umweltschutz spielt eine große Rolle. Ein markantes Beispiel ist die Elektromobilität, die in China stark vorangetrieben wird. China hat in den letzten Jahrzehnten wirtschaftliches Wachstum in den Vordergrund gestellt, aber mittlerweile sind auch Umweltschutz und Nachhaltigkeit wichtige Themen. Gerade bei der Elektromobilität ist China sehr weit und drängt mit seinen Produkten auch auf den europäischen Markt. Die Größe vieler Städte in China mit hohen Bevölkerungszahlen werfen noch einmal weitere Fragen zur Umsetzung von Nachhaltigkeit auf. Da lernen wir das Thema nochmal in neuen Dimensionen und anderen Kontexten kennen.

Wie könnte sich die Zusammenarbeit in Zukunft weiterentwickeln?

PJ: Wir wollen das Thema Prüfungswesen weiterentwickeln und schauen, wie man es in China implementieren kann. Außerdem wollen wir die Kooperation auf andere Bereiche, wie etwa Feinwerktechnik ausweiten.

Infobox: Stationen der Kooperation

2006: Beginn der Partnerschaft zwischen dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg und China.

2014: Unterzeichnung der Vereinbarung zur beruflichen Zusammenarbeit durch den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg.

2015: Gründung des Deutsch-Chinesischen Freundeskreises zur Förderung der beruflichen Bildung durch aktive und ehemalige Mitglieder der Kultusbehörde.

2015: Handwerkskammer Karlsruhe als federführende Organisation des Handwerks im internationalen Bereich in Baden-Württemberg erklärt sich zur Zusammenarbeit bereit.

2017: Erster großer Praktikantenaustausch organisiert von der Handwerkskammer Karlsruhe; chinesische Auszubildende in deutschen Mitgliedsbetrieben.

2019: Besuch von Dr. Patrick Jakob und Vertretern des Deutsch-Chinesischen Freundeskreises an chinesischen Schulen; Diskussion über die Einführung einer an die deutsche Gesellenprüfung angelehnte Prüfung.

2024: Prüferschulung für chinesische Berufsschullehrer an der Bildungsakademie der Handwerkskammer Karlsruhe nach der Pandemiepause.

Welche Unterstützer habt ihr für diese Kooperation?

PJ: Ein wesentlicher Partner ist der Deutsch-Chinesische Freundeskreis, der sehr gut in China vernetzt ist. Er fungiert als Türöffner für Schulen und politische Gespräche. Wichtig ist auch die finanzielle Unterstützung. Die Projekte müssen kostendeckend sein und werden auch von chinesischer Seite finanziert.

Welche Interessen hat die Handwerkskammer Karlsruhe an dieser Kooperation?

PJ: Wir profitieren insbesondere im Bereich Elektromobilität von China. Es war früher so, dass die Chinesen von uns gelernt haben, aber mittlerweile können auch wir von ihnen lernen. In den Bereichen Künstliche Intelligenz, Smart Home und Digitalisierung ist China sehr weit, und wir können von diesen Entwicklungen profitieren. So können wir beispielsweise in China sehen, wie bestimmte Techniken auch schon im Unterricht umgesetzt werden und welche neuen Berufsfelder, die es bei uns noch nicht gibt, in China entstehen, die wir eventuell adaptieren können.

SG: Vielen Dank für das Gespräch, Patrick! Es war sehr interessant, mehr über eure Kooperation zu erfahren. Ich bin gespannt, was in Zukunft noch alles passiert.

PJ: Vielen Dank!

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