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Mechatroniker für Fahrzeugtechnik in Changzhou nach dem Modell 5+1

Der Bildungscampus der Handwerkskammer Südthüringen BTZ Rohr ist in der internationalen
Berufsbildungsarbeit seit seiner Gründung vor 30 Jahren sehr aktiv. Anfänglich fokussierte sich diese Arbeit auf den Austausch im Bereich ERASMUS. Zunehmend rückten jedoch auch andere Themen, wie die Fachkräfteakquise im Ausland für Südthüringer Unternehmen, Integrationsunterstützung von Flüchtlingen und Migranten sowie der direkte Bildungsexport in Form von Beratungen zu systemischen, konzeptionellen und operativen Aspekten der Berufsbildung sowie Leistungen zum Zweck der beruflichen Aus- und Weiterbildung in den Fokus.

Da sich der Bildungstransfer  in den letzten Jahren am progressivsten und besonders in der Zusammenarbeit mit China entwickelt hat, möchte ich ein Projekt aus diesem Bereich vorstellen. Dieses Projekt wird finanziell von chinesischer Seite getragen und kommt somit ohne Förderung von deutschen Trägern aus.

Das Projekt wird in Kooperation mit dem Changzhou Technician College Jiangsu durchgeführt.
Ziel dieser Zusammenarbeit ist es, dem chinesischen Arbeitsmarkt Kraftfahrzeugmechatroniker mit hoher beruflicher Handlungskompetenz zur Verfügung zu stellen. Das Projekt ist auf eine Gesamtlaufzeit von 6 Jahren für die erste Staffel chinesischer Auszubildender  (2018 – 2023) ausgelegt. In den ersten 5 Jahren erfolgt eine theoretische und praktische Ausbildung der chinesischen Projektteilnehmer nach Muster des dualen Systems in China. Zusätzlich erhalten sie Sprachunterricht, um die abschließende Prüfung am Ende auf Deutsch ablegen zu können.  Im letzten Jahr werden die Projektteilnehmer in einen  Ausbildungsbetrieb in Thüringen vermittelt, wo sie ihre Ausbildung abschließen werden. Deshalb hat das Modell die Bezeichnung 5 + 1 erhalten.

Bis 2022 verbringen unsere Ausbilder 2 Wochen pro Semester bei unserem chinesischen Kooperationspartner, um dort den Qualitätsstandard der Ausbildung zu sichern, die dortigen Ausbilder zu trainieren und den Ausstattungstand der Ausbildungsstätten vor Ort zu überprüfen und sicher zu stellen.

KFZ Werkstatt Bild-Quelle: BTZ Rohr

Im Moment laufen am Changzhou College drei Klassen mit insgesamt circa 90 Auszubildenden. Eine vierte Klasse wird im nächsten Jahr starten. Die Auszubildenden verbringen, wie bereits erwähnt,  die ersten fünf Jahre am Changzhou Technician College, wo sie eine an das deutsche Berufsbild angelehnte Ausbildung erfahren, bevor sie für das letzte Ausbildungsjahr nach Deutschland kommen.  In diesem letzten Jahr  absolvieren die chinesischen Auszubildenden vor allem eine praktische Ausbildung in Handwerksbetrieben unseres Kammerbezirks in Form von 2 Praktikumsperioden sowie eine entsprechende Prüfungsvorbereitung  am Bildungscampus  BTZ-Rohr. Hier werden auch die abschließenden Prüfungen durch den Prüfungsausschuss der Handwerkskammer Südthüringen abgenommen und die Teilnehmer erhalten ein Abschlusszeugnis, angelehnt an den deutschen Abschluss zum Kraftfahrzeugmechatroniker.

Changzhou College Bild-Quelle: BTZ Rohr

Die chinesischen Teilnehmer werden in ihrer Präsenzzeit im BTZ und bei den aufnehmenden Handwerksbetrieben fachlich und organisatorisch voll betreut. In dieser Zeit wohnen die Auszubildenden in unserem campuseigenen Wohnheim und werden hier auch in der Mensa auf Wunsch verpflegt. Teil des Aufenthaltes in Deutschland ist ein Kulturprogramm mit Ausflügen zu Unternehmen und Sehenswürdigkeiten.

Der Bildungscampus der Handwerkskammer Südthüringen BTZ-Rohr Bild-Quelle: BTZ Rohr

Warum engagieren wir uns in der EZ? Neben dem wirtschaftlichen Aspekt für unseren Bildungscampus, sehen wir in Beruflicher Bildung ein wirksames Instrument gegen Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel sowie eine wichtige Voraussetzung für ein weiteres Wirtschaftswachstum im Partnerland China. Für das Jahr 2021 wird trotz COVID mit einer Wachstumsrate des BIP von 9,2 Prozent gegenüber 2020 gerechnet. Bei solchen Steigerungsraten wird deutlich, welche immense Bedeutung gut und wirtschaftsnah ausgebildeten Fachkräften in der chinesischen Volkswirtschaft zukommt. Die duale Ausbildung im Handwerk, aber natürlich auch in der Industrie, wird als Bildungsmodell gesehen, das diesen Bedarf decken kann. Hier leisten wir unseren Beitrag durch einen angepassten Bildungsexport nach Vorbild des dualen Systems.

Der Klassenraum in Changzhou Bild-Quelle: BTZ Rohr

In der Projektentwicklung mit ausländischen Partnern nutzen wir erfolgreich die von der
SCIVET-Koordinierungsstelle bereitgestellten Instrumente. Sie sind vor allen in den ersten Projektphasen und vor allem bei der gemeinsamen Festlegung der Lehr- und Prüfinhalte ein guter Leitfaden und liegen unserer Internationalen Berufsbildungsarbeit zugrunde. Natürlich ist jedes konkrete Projekt mit einem Lernzuwachs bezüglich der Anwendbarkeit verbunden. Besonders unsere chinesischen Kooperationspartner habe meistens bereits eine sehr klare Vorstellung von den Projektinhalten und Abläufen, die es zu berücksichtigen gilt.

Werkstatt für Elektrotechnik Bild-Quelle: BTZ Rohr

Da das Projekt eine relativ lange Laufzeit hat, wird man erst am Ende die Erfolge in der Gesamtheit bewerten können. Ein wichtiges Ergebnis ist auf jeden Fall, dass wir durch das Engagement unserer Ausbilder und der Partner vor Ort den Lehrplan auch ohne Präsenzzeit in China weiter verfolgen konnten. Für das Frühjahr 2021 sind 4 Online Tutorials geplant, die dazu dienen sollen, die Lücken, die eventuell durch die Reisebeschränkungen 2020 entstanden sind, zu analysieren und zu schließen und den Zwischentest, der inhaltlich dem ersten Teil der Gesellenprüfung entspricht, im Sommer 2021 vorzubereiten.

Ein weiteres gutes Resultat ist, dass sich bereits 30 neue junge Leute für eine weitere Staffel dieses Projektes angemeldet haben und man damit die Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechatroniker am Changzhou Technician College nach dem deutschen dualen Modell als nachhaltig eingeführt betrachten kann.

Die Programmteilnehmer in einem der Hörsäle in Changzhou Bild-Quelle: BTZ Rohr

Eine ständige Herausforderung ist und bleibt allerdings die Kommunikation mit den chinesischen Partnern. Dabei wirken sich vor allem zwei Faktoren erschwerend aus. Erstens die stetige Abhängigkeit von Übersetzern und zweitens sind auch die großen Entfernungen einer schnellen Problemlösung nicht immer zuträglich. An dieser Stelle hat sich die COVID-bedingte Reisebeschränkung sogar positiv ausgewirkt, weil sowohl wir als auch die chinesischen Partner gezwungen waren, schnell Online-Lösungen zu entwickeln, die eine effektive Zusammenarbeit ohne Präsenz ermöglichten. Das hat die Kommunikation im Projekt insgesamt verbessert.
Eine weitere Problematik ist das Erlernen der deutschen Sprache auf einem Niveau, das den Abschluss der Prüfung auf Deutsch erlaubt. Hier sind ständige Qualitätskontrollen notwendig und wir werden erst am Projektende evaluieren können, zu welchem Prozentsatz dieses Ziel erreicht werden konnte. In der Perspektive könnte sich das Projekt am Changzhou Technician College Jiangsu nachhaltig etablieren und von dort aus sogar eine Breitenwirkung in der Region entfalten. Da sich ja bereits über weitere Anmeldungen zum Projekt abzeichnet, dass sich die Berufsbildungszusammenarbeit mit dem College und der Region Baoding nachhaltig gestalten wird, gehen wir von einer engeren Zusammenarbeit in den nächsten Jahren aus. Projektbedingt werden zunehmend auch train-the-trainer-Maßnahmen von Bedeutung sein. In der weiteren Zusammenarbeit gilt es auch zu prüfen, welche Projektteile eventuell virtuell gestaltete werden können, sofern eine eingeschränkte Reisetätigkeit verordnet oder angeraten ist.

Welche positiven Effekte versprechen wir uns von der Zusammenarbeit mit Changzhou? Der Bildungscampus der Handwerkskammer Südthüringen BTZ-Rohr ist das größte Berufsbildungszentrum Deutschlands. Zugleich ist die Handwerkskammer Südthüringen die zweitkleinste Kammer. Aus dieser Konstellation heraus hat sich die internationale Berufsbildungszusammenarbeit nicht nur zu einem wichtigen Faktor im Wissens- und Technologietransfer entwickelt, sondern dient natürlich auch der Auslastung des Campus. In den letzten Jahren hat sich auch erwiesen, dass die IBZ und das Thema Fachkräftemangel in Deutschland zunehmend miteinander verbunden sind. Diese Synergie wird sich, meiner Einschätzung nach, zukünftig verstärken und damit kann die Internationale Berufsbildungszusammenarbeit auch zur Unterstützung der Unternehmen in der Region bei der Suche nach qualifizierten Fachkräften beitragen.

Astrid Friedrich
Projektkoordinatorin Internationales

Handwerkskammer Südthüringen

 

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