Im Interview erzählen Luise Maudanz und Yaiza Rojas Matas von den Herausforderungen und Erfolgen im Projekt CoRiCert, in dem Arbeit und Leben Hamburg e.V., die Zentralstelle für Weiterbildung im Handwerk (ZWH) und die Universität Osnabrück zusammenarbeiten. Das Interview wurde am 22. April 2024 geführt.
1. Berufliche Bildung ist ein wirksames Instrument gegen Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel und auch eine wichtige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben. Welche Bedeutung haben handwerkliche Berufe in Costa Rica und wie sieht die Ausbildung in diesen Berufen aus?
Luise Maudanz (LM): Luise Maudanz (LM): In Costa Rica ist es so, wie wir es leider auch aus anderen Partnerländern der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit kennen: Die berufliche Aus- und Weiterbildung ist nicht so angesehen, spielt also eher eine untergeordnete Rolle , auch da der Trend mehr zur Akademisierung geht. Allerdings besteht in Costa Rica sowohl gesellschaftlich als auch politisch und wirtschaftlich das Bewusstsein, dass berufliche Bildung sehr, sehr wichtig ist, um unter anderem Fachkräfte zu gewinnen und die Jugendarbeitslosigkeit zu senken. Vor diesem Hintergrund hat Costa Rica in den letzten Jahrzehnten bereits einige Reformen durchgeführt. Ein Beispiel dafür ist, dass der Nationale Qualifikationsrahmen (Marco Nacional Cualificaciones para la Educación y Formación Técnico Profesional de Costa Rica) als Transparenzinstrument eingeführt wurde. Dieser ist mit dem Deutschen Qualifikationsrahmen vergleichbar, umfasst aber weniger Stufen.
Man muss zum Berufsbildungssystem Costa Ricas wissen, dass es in zwei Bereiche unterteilt wird: den formalen und den non-formalen Bereich. Der non-formale Bereich wird vom nationalen Ausbildungsinstitut (Instituto Nacional de Aprendizaje, kurz INA) geprägt. Da geht es vor allem darum, dass Lernende über 15 Jahren die Grundbildung nachholen können. Auch beruflich ausgerichtete Bildungsgänge, die duale Ansätze aufweisen, werden angeboten. Dabei handelt es sich allerdings um kürzere Qualifikationen. Im costa-ricanischen Qualifikationsrahmen sind die entsprechenden Abschlüsse auf den Técnico-Stufen 1 bis 3 eingeordnet. Die Abschlüsse der formalen Bildung sind auf der Técnico-Stufe 4 eingeordnet und werden vom costa-ricanischen Bildungsministerium (Ministerio de Educación Pública, kurz: MEP) verantwortet und von den beruflichen Sekundarschulen (Colegios Técnicos) durchgeführt. Die Vorgängerregierung hat 2019 beschlossen, auch auf der Stufe 4 duale Ausbildung anzubieten. Als erste Berufe, in denen diese getestet werden soll, hat die Vorgängerregierung die Berufe Elektrotechnik und Webentwicklung gewählt. Im Februar 2022 startete der erste Jahrgang in diesen beiden Berufen die duale Ausbildung.
Das, was wir in Deutschland unter „Handwerk“ verstehen, kann sowohl in der formalen als auch in der non-formalen Berufsbildung erlernt werden. In Costa Rica wird nicht zwischen Handwerk und Industrie unterschieden. Auch der Beruf Elektrotechnik umfasst viele Elemente aus der Industrie. Aber auch das kennen wir aus dem Ausland, dass dort nicht so wie in Deutschland in Handwerk und Industrie unterteilt wird.
Yaiza Rojas Matas (YRM): Für uns, Arbeit und Leben Hamburg e.V, als deutscher gewerkschaftlicher Bildungsträger ist natürlich die Repräsentation von Gewerkschaften besonders wichtig. Hierzu ist zu sagen, dass es im Privatsektor in Costa Rica nur eine schwache gewerkschaftliche Repräsentation gibt, wohingegen es im öffentlichen Sektor beispielsweise einige aktive Gewerkschaften von Lehrkräften gibt. Die drei wichtigsten Lehrergewerkschaften in Costa Rica heißen SEC, APSE und ANDE. Von diesen ist allerdings nur eine, die SEC, seitens des MEP in die duale Ausbildung eingebunden. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat uns geholfen, mit ANDE, SEC und der Gewerkschaft SITET aus dem Bereich Elektrotechnik ins Gespräch zu kommen, was sehr wichtig ist, da wir auch zum Thema Elektrotechnik arbeiten. So konnten wir als neutraler Akteur eine Konversation einleiten, die seit Verabschiedung des Gesetzes in Costa Rica so nicht möglich gewesen war. Dort haben wir beispielsweise diskutiert, was die Rolle von Gewerkschaften in der dualen Ausbildung sein könnte und Fragen der nicht eingebundenen Gewerkschaften beantwortet. Dazu gehörte die Frage nach dem Umfang einer Técnico-4 Ausbildung und ob duale Ausbildung dazu führt, dass junge Leute als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden. Im Nachgang zu diesen Treffen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung hat sich in Costa Rica nun auch ein Runder Tisch der Gewerkschaften zur dualen Ausbildung gebildet. Inzwischen sind auch weitere Gewerkschaften interessiert, sich einzubringen. Als Vertretende der Lehrkräfte hatten die Gewerkschaften Sorgen, dass Arbeitsplätze von Berufsschuhllehrerkräfte abgebaut werden könnten. Wir konnten ihnen am Beispiel Deutschlands veranschaulichen, dass damit nicht zu rechnen ist, vielmehr würden sich die Aufgaben verändern.