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CoRiCert – Wie Costa Rica bei der Entwicklung handlungsorientierter Prüfungen unterstützt wird

Im Interview erzählen Luise Maudanz und Yaiza Rojas Matas von den Herausforderungen und Erfolgen im Projekt CoRiCert, in dem Arbeit und Leben Hamburg e.V., die Zentralstelle für Weiterbildung im Handwerk (ZWH) und die Universität Osnabrück zusammenarbeiten. Das Interview wurde am 22. April 2024 geführt.

1. Berufliche Bildung ist ein wirksames Instrument gegen Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel und auch eine wichtige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben. Welche Bedeutung haben handwerkliche Berufe in Costa Rica und wie sieht die Ausbildung in diesen Berufen aus?

Luise Maudanz (LM):  Luise Maudanz (LM): In Costa Rica ist es so, wie wir es leider auch aus anderen Partnerländern der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit kennen: Die berufliche Aus- und Weiterbildung ist nicht so angesehen, spielt also eher eine untergeordnete Rolle , auch da der Trend mehr zur Akademisierung geht. Allerdings besteht in Costa Rica sowohl gesellschaftlich als auch politisch und wirtschaftlich das Bewusstsein, dass berufliche Bildung sehr, sehr wichtig ist, um unter anderem Fachkräfte zu gewinnen und die Jugendarbeitslosigkeit zu senken. Vor diesem Hintergrund hat Costa Rica in den letzten Jahrzehnten bereits einige Reformen durchgeführt. Ein Beispiel dafür ist, dass der Nationale Qualifikationsrahmen (Marco Nacional Cualificaciones para la Educación y Formación Técnico Profesional de Costa Rica) als Transparenzinstrument eingeführt wurde. Dieser ist mit dem Deutschen Qualifikationsrahmen vergleichbar, umfasst aber weniger Stufen.

Man muss zum Berufsbildungssystem Costa Ricas wissen, dass es in zwei Bereiche unterteilt wird: den formalen und den non-formalen Bereich. Der non-formale Bereich wird vom nationalen Ausbildungsinstitut (Instituto Nacional de Aprendizaje, kurz INA) geprägt. Da geht es vor allem darum, dass Lernende über 15 Jahren die Grundbildung nachholen können. Auch beruflich ausgerichtete Bildungsgänge, die duale Ansätze aufweisen, werden angeboten. Dabei handelt es sich allerdings um kürzere Qualifikationen. Im costa-ricanischen Qualifikationsrahmen sind die entsprechenden Abschlüsse auf den Técnico-Stufen 1 bis 3 eingeordnet. Die Abschlüsse der formalen Bildung sind auf der Técnico-Stufe 4 eingeordnet und werden vom costa-ricanischen Bildungsministerium (Ministerio de Educación Pública, kurz: MEP) verantwortet und von den beruflichen Sekundarschulen (Colegios Técnicos) durchgeführt. Die Vorgängerregierung hat 2019 beschlossen, auch auf der Stufe 4 duale Ausbildung anzubieten. Als erste Berufe, in denen diese getestet werden soll, hat die Vorgängerregierung die Berufe Elektrotechnik und Webentwicklung gewählt. Im Februar 2022 startete der erste Jahrgang in diesen beiden Berufen die duale Ausbildung.

Das, was wir in Deutschland unter „Handwerk“ verstehen, kann sowohl in der formalen als auch in der non-formalen Berufsbildung erlernt werden. In Costa Rica wird nicht zwischen Handwerk und Industrie unterschieden. Auch der Beruf Elektrotechnik umfasst viele Elemente aus der Industrie. Aber auch das kennen wir aus dem Ausland, dass dort nicht so wie in Deutschland in Handwerk und Industrie unterteilt wird.

Yaiza Rojas Matas (YRM): Für uns, Arbeit und Leben Hamburg e.V, als deutscher gewerkschaftlicher Bildungsträger ist natürlich die Repräsentation von Gewerkschaften besonders wichtig. Hierzu ist zu sagen, dass es im Privatsektor in Costa Rica nur eine schwache gewerkschaftliche Repräsentation gibt, wohingegen es im öffentlichen Sektor beispielsweise einige aktive Gewerkschaften von Lehrkräften gibt. Die drei wichtigsten Lehrergewerkschaften in Costa Rica heißen SEC, APSE und ANDE. Von diesen ist allerdings nur eine, die SEC, seitens des MEP in die duale Ausbildung eingebunden. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat uns geholfen, mit ANDE, SEC und der Gewerkschaft SITET aus dem Bereich Elektrotechnik ins Gespräch zu kommen, was sehr wichtig ist, da wir auch zum Thema Elektrotechnik arbeiten. So konnten wir als neutraler Akteur eine Konversation einleiten, die seit Verabschiedung des Gesetzes in Costa Rica so nicht möglich gewesen war. Dort haben wir beispielsweise diskutiert, was die Rolle von Gewerkschaften in der dualen Ausbildung sein könnte und Fragen der nicht eingebundenen Gewerkschaften beantwortet. Dazu gehörte die Frage nach dem Umfang einer Técnico-4 Ausbildung und ob duale Ausbildung dazu führt, dass junge Leute als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden. Im Nachgang zu diesen Treffen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung hat sich in Costa Rica nun auch ein Runder Tisch der Gewerkschaften zur dualen Ausbildung gebildet. Inzwischen sind auch weitere Gewerkschaften interessiert, sich einzubringen. Als Vertretende der Lehrkräfte hatten die Gewerkschaften Sorgen, dass Arbeitsplätze von Berufsschuhllehrerkräfte abgebaut werden könnten. Wir konnten ihnen am Beispiel Deutschlands veranschaulichen, dass damit nicht zu rechnen ist, vielmehr würden sich die Aufgaben verändern.

Treffen bei der Friedrich-Ebert-Stiftung
Treffen bei der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bildquelle: Arbeit und Leben Hamburg e.V.

2. CoRiCert ist eingebettet in die Berufsbildungskooperation zwischen dem deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem costa-ricanischen Bildungsministerium (MEP). Die beiden Regierungen hatten in einem Aufruf zum Einreichen von Projektanträgen im Rahmen der WiSoVET-Richtlinie beschrieben, welche Art von Projekt sie fördern wollen. Welche Ziele verfolgt CoRiCert und wie gestaltete sich aus Ihrer Sicht die Entstehungs- und Startphase des Projekts (Konsortialbildung, Antrag, Start)?

LM: Die Ziele der Vorhabensbeschreibung von CoRiCert lassen sich den Schwerpunkten „Prüfen und Zertifizieren“ sowie „Ausbildungsberatung und -akquise“ zuordnen.
Im Bereich Prüfung und Zertifizierung geht es darum, dass wir Prüfungs- und Zertifizierungsmodelle mit den jeweiligen Instrumenten für Costa Rica und vor allem gemeinsam mit den costa-ricanischen Partnern konzipieren und erproben, sodass es dann zu einem landesweit einheitlichen Verfahren kommt, mit dem die berufliche Handlungsfähigkeit festgestellt werden kann. Momentan ist noch gesetzlich festgeschrieben, dass die Abschlussprüfung der dualen Ausbildung in Form einer schriftlichen Single-Choice-Prüfung durchgeführt wird. Im Bereich Ausbildungsakquise und -beratung geht es darum, weitere Unternehmen, aber auch Bildungs- und Sozialpartner insbesondere für zukünftige Jahrgänge zu gewinnen, ein Netzwerk aufzubauen und alle Akteure durch Capacity Building zu unterstützen. Auch die Zusammenarbeit der verschiedenen Lernorte sollte gestärkt werden.

Im Austausch mit dem MEP haben wir diese Ziele priorisiert. Die Prüfungsstrukturen haben die oberste Priorität bekommen und an zweiter Stelle steht, bei der Erstellung einer Strategie zur Gewinnung weiterer Unternehmen, Berufsschulen und Auszubildenden für die duale Berufsausbildung zu unterstützen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Gewinnung von Unternehmen, denn Berufsschulen und Auszubildende haben Interesse an dieser Form der Ausbildung.

Was die Konsortialbildung und Antragsstellung angeht, muss ich sagen, dass das Konsortium sehr schnell zusammengestellt war. Dabei hatten auch die SCIVET-Koordinierungsstelle und das BMBF-geförderte Strategieprojekt des Deutschen Gewerkschaftsbundes unions4VET unterstützt. So kamen Arbeit und Leben Hamburg e.V., wir als Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk und die Universität Osnabrück zusammen. Wir haben auch schon in dieser frühen Phase die Handwerkskammer Südthüringen für den Bereich Elektrotechnik mit ins Boot geholt. Die Rollen waren sehr schnell verteilt. Für uns war während der Antragsstellung positiv, dass wir keine Mitbewerber hatten und eng vom Projektträger des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (kurz: DLR PT) unterstützt wurden. Der DLR PT verwaltet die Förderrichtlinien der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit für das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Trotz der schnellen Konsortialbildung und der Unterstützungwar der Prozess relativ lang und zog sich von Frühjahr 2022 bis Januar 2023, bis wir endlich im Februar 2023 starten konnten. Schön war, dass wir dann auch gleich im März einen online Kick-off machen konnten.

3. Wie sieht die Zusammenarbeit mit den beiden Ministerien und anderen Akteuren der Berufsbildungskooperation im Projektalltag aus? Unterscheidet sie sich von der Arbeit in anderen internationalen Berufsbildungsprojekten?

LM: Also, was man zunächst sagen kann, ist, dass das MEP und seine Mitarbeitenden wahnsinnig engagiert sind und viel Begeisterung, Power und Energie einbringen, um unser Projekt mitzugestalten. Dadurch ist das MEP ein großer und ein sehr wichtiger Partner mit verschiedenen Ansprechpersonen für uns. Wir sind sehr schnell dazu übergegangen, dass wir monatliche Treffen mit dem MEP machen, bei denen alle Verbundpartner dabei sind. Wir konnten beispielsweise im MEP Vertreter*innen unterschiedlicher Abteilungen kennenlernen und Schnittmengen feststellen z.B. in den Bereichen Qualitätsmanagement, Bewertung, technische Bildung und Unternehmertum.

YRM: Auch BMBF und DLR PT sprechen jeden Monat mit dem MEP. Als Vorbereitung habe ich meist vorher schon ein Gespräch mit ihnen, damit sie wissen, was für uns wichtig ist und wie sie uns unterstützen können. Außerdem treffe ich mich auch alle sechs Wochen direkt mit dem DLR PT.

LM: Der DLR PT unterstützt uns bei Fragen und ist über die Projektentwicklung sehr glücklich. Auch die für die Berufsbildungskooperation mit Costa Rica zuständige Kollegin im Bundesinstitut für Berufsbildung unterstützt uns sehr. Zum Thema Kommunikation möchte ich noch ergänzen, dass Yaiza als unsere Verbundkoordinatorin nochmal vermehrt die Ansprechpartnerin für das MEP ist und sich auch zwischenzeitlich mit dem MEP abstimmt, E-Mails schreibt, Gespräche führt und auch über WhatsApp sehr gut verbunden ist.

YRM: Mit der Nutzung von WhatsApp haben wir uns an die Kommunikationswege in Costa Rica angepasst. In anderen internationalen Kooperationen wird WhatsApp nicht benutzt, aber in Costa Rica schon. Deswegen sind wir da mit einem dienstlichen Account eingestiegen und es erleichtert uns die Kommunikation auch angesichts der Zeitverschiebung.

LM: Die politischen Veränderungen in Costa Rica haben jedoch auch Auswirkungen auf unser Projekt. Mal gibt es Gegenwind, mal Rückenwind. Jetzt haben wir inzwischen den dritten Direktor für technische Ausbildung und Unternehmertum im MEP (Director de Educación Técnica y Capacidades Emprendedoras, vergleichbar einem Abteilungsleiter in einem deutschen Ministerium) seit Projektstart kennengelernt. Alberto Calvo Leiva unterstützt unser Projekt sehr stark.

Impression aus der Projektarbeit von CoRiCert. Bildquelle: Arbeit und Leben Hamburg e.V.
Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern des costa-ricanischen Bildungsministeriums. Bildquelle: Arbeit und Leben Hamburg e.V.

4. Im Projektkonsortium von CoRiCert sind sehr verschiedene Organisationen: Arbeit und Leben Hamburg e.V. (ein gewerkschaftlicher Bildungsträger), die Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk (ZWH) und die Universität Osnabrück. Wie gestaltet sich die Projektarbeit in so einem vielfältigen Konsortium?

LM: Wir haben uns schon von Projektbeginn an darauf geeinigt, dass wir zwei wöchentliche Jours fixes online machen, bei denen wir Verbundpartner und unsere Unterauftragnehmerin, die Handwerkskammer Südthüringen, zusammenkommen. Hinzu kommt, dass zweimal im Jahr das ganze deutsche Projektteam, auch mit den Expert*innen für Webentwicklung und Elektrotechnik, in Präsenz in Berlin und Hamburg zusammenkommen, um sich abzustimmen. Zusätzlich haben wir natürlich auch Abstimmungsrunden zu speziellen Themen, die dann außerhalb der festen Termine stattfinden. Es ist von Anfang an so gewesen, dass alles sehr transparent war und wir uns gegenseitig unsere Projektausarbeitungen zur Verfügung gestellt haben. Auch auf der menschlichen Ebene können wir sehr gut und kooperativ zusammenarbeiten.

Natürlich hat die Universität Osnabrück die wissenschaftliche Analyse zunächst durchgeführt und die zugehörigen Interviews geführt. Aber unsere Experten und wir vom Projektteam haben dann nochmal drüber gelesen und Ergänzungen vorgenommen. So haben unsere Experten ergänzt, wie sie die Situation in Costa Rica wahrgenommen haben oder welche weiteren Herausforderungen es noch gibt. Das ist eine schöne Verknüpfung zwischen Forschung und Praxis. Bei der Prüferschulung hingegen haben wir von der ZWH die Federführung übernommen und einen ersten Entwurf erstellt. Dann haben die anderen Partner ergänzt, sodass die Prüferschulung am Ende ein Gemeinschaftsprodukt geworden ist.

5. Welche Interessen haben die einzelnen Organisationen an dem Projekt?

LM: Alle Partner wollen die gewonnen Erkenntnisse für zukünftige Projektkooperationen in Costa Rica aber natürlich auch darüber hinaus nutzen. Da haben wir zur sozialpartnerschaftlichen Kooperation und dazu, wie man den Bereich Prüfung und Zertifizierung angeht, einiges gelernt. Auch, dass unsere Arbeit durch die Arbeit der Universität durch Publikationen und Fachvorträge in den wissenschaftlichen Diskurs aufgenommen wird, ist sehr wertvoll. Das hätten wir als ZWH und Arbeit und Leben Hamburg e.V. gar nicht leisten können.

Impression aus der Projektarbeit von CoRiCert. Bildquelle: ZWH
Entwicklung von Prüfungsaufgaben für Elektrotechnik im Rahmen des Projekts CoRiCert. Bildquelle: ZWH

6. Was sind die wichtigsten bisherigen Ergebnisse des Projektes?

Die wichtigsten Ergebnisse des ersten Jahres waren:

  • Die wissenschaftlichen Analyse und Bestandsaufnahme wurde in beiden Bereichen „Prüfung und Zertifizierung“ und „Ausbildungsberatung und -akquise“ abgeschlossen.
  • Ein Netzwerk im Bereich Prüfung und Zertifizierung wurde aufgebaut, was auch die Gründung des Runden Tisches der Gewerkschaften verdeutlicht.
  • Praxisorientierte Austausche mit weiteren Stakeholdern wie den Kammern sowie verschiedenen Institutionen in den Freihandelszonen haben stattgefunden.
  • Die Prüferschulung wurde durchgeführt – im Oktober 2023 eine Woche in Präsenz und wegen großer Nachfrage nochmal Ende November online.
  • Eine Kick-Off-Veranstaltung in Costa Rica wurde durchgeführt und hatte eine sehr gute Medienpräsenz.
  • Die bilinguale Öffentlichkeitsarbeit auf Facebook und Linkedin ist angelaufen.

7. Wie wird es in Costa Rica bewertet, wenn deutsche Organisationen als Moderatoren im costa-ricanischen Berufsbildungssystem agieren?

YRM: Deutschland wird in Costa Rica und vielen anderen Ländern mit Qualität in Verbindung gebracht. Das macht viele Leute erstmal neugierig. Andererseits wollen wir auch nicht mit einem imperialistischen Blick kommen und erklären, wie Dinge vermeintlich funktionieren sollten. Also wir sitzen dann zusammen und hören zu und sind auf ein Verständnis des voneinander Lernens gekommen. Ich glaube aber auch, dass sich viele nicht mit uns getroffen hätten, wenn wir nicht aus Deutschland kämen. Das bring ja auch Neutralität mit.

LM: Dem DLR PT war von Anfang an wichtig, dass wir die Costa Ricaner*innen dabei unterstützen und begleiten, ihren eigenen Weg zu finden. Vor diesem Hintergrund ist auch zu sehen, dass es in den beiden Berufen Elektrotechnik und Webentwicklung voraussichtlich zwei unterschiedliche Ansätze für die praktische Prüfung geben wird. Im Bereich Webentwicklung sollen nämlich die Auszubildenden selbst ein Projekt vorschlagen, welches sie im Betrieb gerne umsetzen würden und was dann als praktische Prüfung zählt. Das könnte vielleicht auch ein Ansatz sein, der für die deutsche Berufsbildung interessant sein könnte. Ob die beiden Ansätze in Costa Rica dann auch rechtlich so festgeschrieben werden, ist noch nicht klar.

8. Welche Erfahrungen haben Sie im Projekt mit den SCIVET-Instrumenten gemacht?

LM: Wir haben den Systemischen Qualitätsstandard zum Thema Prüfung genommen, um die Grundlagen für handlungsorientiertes Prüfen zu vermitteln. Die Standards sind abstrakt genug, um eine gute Brücke zu schlagen, weil wir so nicht immer vom deutschen dualen Berufsbildungssystem sprechen.

In Costa Rica gibt es noch keine kompetenzorientierte Prüfungsregelung. Also werden wir in der weiteren Arbeit in Arbeitsgruppen auch die Vorlagen für Prüfungsreglungen, die in SCIVET entwickelt wurden, als Diskussionsgrundlage nutzen, um zu beschreiben, wie die Prüfungsgremien einmal arbeiten sollen.

Impression aus der Projektarbeit von CoRiCert. Bildquelle: Arbeit und Leben Hamburg e.V.
Prüferschulung im Rahmen von CoRiCert. Bildquelle: Arbeit und Leben Hamburg e.V.

9. Welche Hürden haben Sie im Rahmen der Projektarbeit bereits bewältigt und welchen Herausforderungen sehen Sie sich noch gegenüber?

LM: Die erste Herausforderung war, dass die wissenschaftliche Bestandsaufnahme und die Entwicklung der Prüferschulung parallel durchgeführt wurden. Zwar konnten wir uns immer abstimmen, aber wir mussten doch sehr stark auf unsere Erfahrungen aus anderen Ländern zurückgreifen. Auch die Einbindung der costa-ricanischen Gewerkschaften war anfangs eine Herausforderung, die wir, wie Yaiza schon beschrieben hat, bewältigt haben.

Die Liste an noch ausstehenden Herausforderungen ist leider etwas länger. Zuallererst ist hier die Akquise von Ausbildungsbetrieben zu nennen. Von den ersten sechs Ausbildungsunternehmen, die dual ausbilden, sind fünf internationale Unternehmen und nur ein costa-ricanisches. Durch die geringe Einbindung costa-ricanischer Unternehmen fällt es uns schwer, den betrieblichen Bedarf gerade im Bereich Elektrotechnik zu verstehen. Das ist wichtig, um für die Prüfung realistische Aufgaben, die sich an Kundenaufträgen orientieren sollen, zu gestalten. Im Bereich Webentwicklung sind Bedarfe und Prozesse international stärker vergleichbar, wie wir feststellen konnten.

Auch die fortlaufende Einbindung von Ausbildungsbetrieben ist eine Herausforderung. Einige Betriebe haben erstmal angefangen auszubilden und wollen nach Abschluss der Ausbildung des ersten Jahrgangs, also nach drei Jahren, entscheiden, ob sie weitere Auszubildende aufnehmen. Aus unserer Sicht wäre es wünschenswert, wenn die Unternehmen, die jetzt schon die nötigen Strukturen und Erfahrungen haben, auch jedes Jahr Auszubildende aufnehmen würden.

Viele Mitarbeitende von Berufsschulen, Kammern und Unternehmen sind nur eingeschränkt zeitlich verfügbar, was ihre Einbindung in die Projektarbeit erschwert. Eine weitere Herausforderung aus unserer Sicht ist, dass die Curricula sehr umfassend sind. Wir reden von 500 bis 600 Seiten für die Berufsschulen und 300 Seiten für die Betriebe. Unserer Einschätzung nach könnte die Komplexität dieser Curricula ein Aspekt sein, der Betriebe abschreckt.

Eine weitere Herausforderung ist, dass die Auszubildenden der ersten Generation auf die neue Art der handlungsorientierten Prüfungen vorbereitet werden müssen. Wegen der zwischenzeitlichen Verzögerungen aufgrund politischer Entwicklungen in Costa Rica wird die verbleibende Zeit dafür aber als zu gering eingeschätzt. Somit erhält der erste Jahrgang noch die Single-Choice Prüfung und absolviert eine handlungsorientierte Prüfung nur als Test-Prüfung. Die Ergebnisse der Test-Prüfung werden im Nachgang dem höheren Bildungsrat in Costa Rica vorgelegt, der einer Änderung der gesetzlichen Vorgaben hin zu einer dreiteiligen handlungsorientierten Prüfung zustimmen muss. Das ist anders, als wir es noch in den Antragsunterlagen beschrieben haben, aber BMBF und DLR PT sehen ja, dass wir uns mit diesen zeitlichen Verschiebungen an die Bedarfe in Costa Rica angepasst haben.

10. Umweltschutz sowie soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit sind für das Handwerk wichtige Themen. Welche Rolle spielen die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit im Projekt CoRiCert?

LM: Wir berücksichtigen Umweltaspekte beispielsweise in der Art, wie wir unser Projekt durchführen, indem wir möglichst viele Sitzungen online machen und für die Anreise zu Präsenztreffen in Deutschland konsequent die Bahn nutzen. Darüber hinaus haben wir von Anfang an festgelegt, dass es maximal zwei Reisen nach Costa Rica pro Jahr geben soll.

Der weitaus größere Hebel bei unseren Projekten liegt auf den Dimensionen der sozialen sowie wirtschaftlichen Nachhaltigkeit. Wir leisten einen Beitrag zur Fachkräftegewinnung und zur Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit in Costa Rica. Es wird vor allem Menschen aus benachteiligten sozialen Verhältnissen die Chance gegeben, einen guten Beruf zu ergreifen.

Impression aus der Projektarbeit von CoRiCert. Bildquelle: Arbeit und Leben Hamburg e.V.
Werkstatt für Elektrotechnik am Colegio Técnico Profesional de Atenas. Bildquelle: Arbeit und Leben Hamburg e.V.

11. Wie könnte sich das aktuelle Projekt weiterentwickeln und wie könnte die Zusammenarbeit zukünftig gestaltet werden?

LM: Ja, da haben wir eine lange Wunschliste, die auch im Austausch mit dem MEP entstanden ist. Wir würden die Partner*innen in Costa Rica gerne noch weiter bei der Umsetzung begleiten und in Form von Coaching oder Supervision zur Verfügung stehen. Das könnte dann auch Organisationen und Wirtschaftsbereichen, die neu für die duale Ausbildung gewonnen werden und den nächsten Ausbildungsjahrgängen zugutekommen. Wir sehen auch den Bedarf an weiteren Schulungen rund um die Arbeit in einem Prüfungsgremium. Zusätzlich könnten wir auch Schulungen zur Rolle und den Aufgaben des Ausbildungspersonals in der Schule und in Unternehmen anbieten. Wir würden auch Multiplikator*innen schulen, da wir nicht immer in Costa Rica eingebunden sein können. Als dritte Säule würden wir uns Möglichkeiten des Austausches mit Costa Rica wünschen, damit auch deutsche Auszubildende mal ein Praktikum in Costa Rica machen könnten oder auch costa-ricanische Auszubildende in Deutschland. Wir würden auch gerne Vertreter*innen von Betrieben, Berufsschulen, Kammern und Gewerkschaften aus Costa Rica die Möglichkeit bieten, nach Deutschland zu reisen, da wir häufig beobachten können, dass das persönliche Erleben deutlich mehr bringt als theoretische Schulungen. Dies könnte auch ein Schlüssel für die weitere Einbindung von Gewerkschaften sein. Ob und in welchem Umfang das BMBF ein Aufbauprojekt fördern würde, steht bisher nicht fest.

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Luise Maudanz, Bild: ZWH

Luise Maudanz, Teamleiterin Internationales, Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk (ZWH). Bild: ZWH

Yaiza Rojas Matas. Bild: Arbeit und Leben Hamburg e.V.

Yaiza Rojas Matas, Projekt- und Verbundkoordinatorin im Projekt CoRiCert, Arbeit und Leben Hamburg e.V., Bild: Arbeit und Leben Hamburg e.V.

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