Im Interview stellt Dr. Constanze Küsel, Leiterin internationale Projekte an der Handwerkskammer Koblenz, die Berufsbildungspartnerschaft Ostafrika vor. Dabei handelt es sich um ein Regionalprojekt, in dem mit Partnern in Uganda, Burundi und Ruanda kooperiert wird. Die Berufsbildungspartnerschaft wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung über die sequa gGmbH gefördert.
Berufsbildungspartnerschaft Ostafrika – Drei Länder in einem Projekt
Wie sieht handwerkliche Berufsbildung in den drei Partnerländern der Berufsbildungspartnerschaft aus und welche Rolle spielt das Handwerk?
CK: Die Berufsbildung ist wie in vielen Ländern auf der Welt auch in Afrika sehr theorielastig, also schulbasiert. Die jungen Leute lernen sehr viel in der Schule, machen ab und zu vielleicht mal ein Praktikum auf einer Baustelle. Das Lernen in Betrieben wie bei uns gibt es nicht. Und man muss sagen: Dafür ist auch die Wirtschaftskraft nicht stark genug.
Der Stellenwert des Handwerks ist in unseren Projektländern wie in vielen anderen Ländern auch leider nicht der gleiche wie in Deutschland. Das heißt Handwerk bedeutet häufig „niedere Berufszweige, niedere Jobs“. Die Leute streben auch in Afrika oder auch im Balkan, wo wir viel unterwegs sind nach akademischen Abschlüssen. Interessant ist auch, dass unter Handwerk tatsächlich eher kunsthandwerkliche Berufe verstanden werden, also Keramik, Textil, Holz. Und es wird nicht gesehen, dass auch technische Berufe durchaus Handwerksberufe sein können. In unseren Projektländern haben wir auch andere Wirtschaftsstrukturen. Im Handwerk haben wir eher die kleineren Betriebsstrukturen und gerade das haben wir in solchen Ländern auch.
Die HWK Koblenz arbeitet schon länger mit Partnern in Ruanda. Wie kam die Idee auf, diese Kooperation auf Uganda und Burundi auszuweiten?
CK: Im Rahmen der East African Community, also einem Zusammenschluss von ostafrikanischen Ländern, arbeiten diese an der regionalen Integration, also daran, gleiche Strukturen zu schaffen auf wirtschaftlicher, aber auch bildungspolitischer Ebene. In dem Zusammenhang haben wir unsere Kooperation auf Burundi und Uganda ausgeweitet. Uganda ist auch schon ziemlich weit; Burundi hingegen noch ein sehr schwach entwickeltes Land. So können wir natürlich durch unsere Erfahrungen in Ruanda die anderen beiden Länder und vor allem Burundi gut unterstützen.
Auf der Website der sequa heißt es: Ziel der Mehrpartnerstruktur ist es, Berufsbildung pilothaft zu harmonisieren sowie Strukturen bzw. Innovationen, die sich in einem Land bewährt haben, pilothaft auf die anderen Länder zu übertragen. Kannst du uns ein paar Beispiele für Strukturen und Innovationen nennen, die hier zwischen den verschiedenen Ländern übertragen werden?
CK: In vorherigen Projekten in Ruanda haben wir dort bereits eine ganz abgespeckte Variante des dualen Systems der beruflichen Bildung im Bereich Straßenbau aufgebaut. Da gibt es 3 Monate Schule und 3 Monate in einem Betrieb. Es war schon sehr viel Arbeit, die Betriebe dafür zu gewinnen. Darauf konnten wir aufbauen, das heißt, dass wir diese Erfahrung, die wir dort gesammelt haben wunderbar übertragen konnten auf Uganda und Burundi. Das ganze Projekt setzt sich so zusammen, dass man wirklich versucht, die Curricula zu vereinheitlichen und eben auch diese duale Berufsausbildung in sehr abgespeckter Variante in beide Länder, im Solar- und Schweiß- Bereich zu übertragen.
Welche Rolle spielt die HWK Koblenz bei diesem Wissenstransfer zwischen den drei afrikanischen Ländern? Zugespitzt gefragt: Was haben die Akteure aus den drei Ländern davon, dass auch noch ein deutscher Akteur mit am Tisch sitzt?
CK: Abgesehen vom Geld, geht es natürlich auch um das Know How. Wir machen überwiegend Capacity Building. Das heißt: Wir stellen unsere Experten zur Verfügung, die eben gerade in der praxisorientierten Berufsausbildung schon sehr erfahren sind und auch das fachliche Know How aus dem Handwerk und unseren berufsbildenden Strukturen haben. Teilweise merken wir aber auch, dass wir wirklich quasi über Coaching und Co-Trainer, Leute in den Projektländern soweit ausbilden können, dass die dann selber in diesen Berufsausbildungen tätig werden können und wir nicht mehr unterstützen müssen. – Sozusagen als Multiplikatoren. Wir geben also finanziell und mit unserem Know-How einen Anschub. Insofern ist uns immer wichtig, dass wir Co-Trainer dabeihaben, die dann irgendwann eigenständig unterrichten können.
Wie wurden die Gewerke, denen sich die BBP widmet (Straßenbau, Schweißen, Solar) ausgewählt?
CK: Also im Solarbereich waren wir schon in Ruanda sehr aktiv. Da haben wir schon mit vielen kleinen Schulen zusammengearbeitet, haben dort auf den Schulen oder in den Schulen Solaranlagen errichtet. Dadurch erhalten die Schulen beispielsweise Strom für die Verwaltung. Schweißen ist in dem Projekt wichtig, weil es das ist, was vor allen Dingen die Partner interessiert. In der Entwicklungszusammenarbeit ist es ja wichtig zu fragen: „Was braucht ihr? Wo ist euer Bedarf?“ Und genau so machen wir das in den Projekten, dass wir erstmal evaluieren, und dann stellt sich heraus, wo die Schwerpunkte liegen sollten. Und so sind wir zu den Schwerpunkten Schweißen und Solar gekommen. In diesem Projekt machen wie aber auch was mit KFZ in Afrika und in der zweiten Phase, in der wir jetzt sind, auch im Textilbereich.
Wir machen in erster Linie Train The Trainer, damit die Teilnehmenden ihr Wissen weitergeben können. Parallel dazu qualifizieren wir diese jedoch auch fachlich weiter. Indem wir beispielhafte Solaranlagen in die Schulen stellen, sollen die Lehrer natürlich auch lernen, diese selber zu warten und auch im besten Fall zu reparieren. Das ist also auch Thema und Inhalt der Unterrichtseinheiten. Interessant ist auch, dass jetzt zwei von unseren Partnerschulen in Ruanda Solar Exzellenz Center werden wollen. Also sie wollen sich auf Solarenergie spezialisieren und versuchen eine solitäre Stellung aufzubauen und versuchen, Schüler aus ganz Ruanda für den Solarbereich an ihre Schule zu ziehen. Und die Schüler müssen in Ruanda ja bezahlen. Wir haben mit ihnen gemeinsam ein Konzept erarbeitet, aber jetzt ist es an denen, das weiter auszubauen. Das eine Projekt, mit dem wir das hätten unterstützen können, ist ausgelaufen.
Spielt das Thema Nachhaltigkeit über die Frage der Solartechnik hinaus auch eine Rolle in der BBP Ostafrika?
CK: Der Begriff Nachhaltigkeit ist ja vieldeutig und nachhaltig heißt einerseits, dass die Partner eigenständig weiterarbeiten können, wenn wir nicht mehr da sind. Dafür versuchen wir jetzt die Betriebe noch stärker in unser Projekt mit einzubringen. Damit hätten wir eine gute Grundlage, um darauf wirklich nachhaltig aufzubauen.
Unter der anderen Bedeutung von Nachhaltigkeit also z.B. Umweltbewusstsein, da sind wir natürlich im Solarbereich sehr gut aufgestellt. Wir haben zum Beispiel in Burundi und in Uganda ein ganz tolles kleines Projekt im Rahmen des großen Projekts gemacht. Und zwar haben unsere Experten aus dem Schweiß- und aus dem Solarbereich zusammen ein sogenanntes Solarmobil entwickelt. Das heißt, der eine Experte ist runter gefahren und hat das Solarmobil – also einen mobilen Anhänger – im Rahmen einer Unterrichtseinheit geschweißt. Und dann kam der nächste Experte und hat dann dort gemeinsam mit den Teilnehmenden in diesen Anhänger eine Solaranlage eingebaut. Und jetzt haben wir dort an der Schule einen mobilen Anhänger, bei dem die Leute tatsächlich ihre Handys aufladen können. Theoretisch kann das aber auch ein Marktkonzept werden, denn mit der Stromversorgung gibt es in diesen Ländern gerade im ländlichen Raum häufig Probleme. Das ist also wirklich eine gute Win-Win Geschichte.
Auf der Seite der sequa wird auch das Thema Beschäftigungsförderung von Frauen als ein Handlungsfeld der Berufsbildungspartnerschaft Ostafrika erwähnt. Wie unterscheiden sich die Herausforderungen von Beschäftigung von Frauen in Ostafrika und in Deutschland?
CK: Interessant ist, dass zum Beispiel in Ruanda 60% der Politiker Frauen sind. Wir sehen auf den Baustellen dort sehr viele Frauen, die schwere Eimer schleppen. Und wir haben tatsächlich auch in unseren Solar- und Schweiß-Lehrgängen auch eher mal eine Frau als in Deutschland. Das heißt nicht, dass das viele sind. Aber interessant zum Thema Frauen im Bauhandwerk ist- und das merke ich sowohl in Deutschland als auch in Afrika – da finden wir viele Frauen, wenn es um das Thema nachhaltiges Bauen geht. Also die haben eine stärkere Affinität zu nachhaltigen Materialien. Wir haben beispielsweise in einem anderen Projekt einen Bambus-Kurs gemacht, Lehmbau- und Kalk- Seminare. Und da kommen direkt wieder ganz viele Frauen. In Deutschland ist es auch so.
Im Allgemeinen haben wir da das gleiche Problem wie in Deutschland, dass es klassische Männerberufe gibt. Es stellt sich die Frage: Macht das Sinn, dass man wirklich versucht, die Frauen krampfhaft ins KFZ-Gewerbe zu kriegen oder ins Schweißen oder schaut man nicht, dass man sie wirklich in den Gewerben, wo sie sowieso tätig sind, auch einfach mehr unterstützt? Und da sind wir jetzt auch im Textilbereich, was natürlich überwiegend von Frauen besetzt wird aktiv.
Was sind die wichtigsten bisherigen Ergebnisse der Berufsbildungspartnerschaft Ostafrika?
CK: Der überregionale Austausch ist ein Hauptfokus des Projekts, dass die Mitglieder der East African Community anfangen, miteinander zu arbeiten und zu vereinheitlichen. Darüber hinaus haben wir den Erfolg erzielt, dass wir dieses duale System wie in Ruanda auf die anderen beiden Länder übertragen konnten. Das ist jetzt auch in der Umsetzungsphase.
Es ist auch interessant, dass Ruanda und Burundi von Uganda lernen konnten. Dort gibt es nämlich den Workers‘ Pass. Dabei geht es um Validierung von Berufsqualifikationen. Das heißt, die Leute sammeln in einem Pass oder in einem Buch ihre einzelnen Berufserfahrungen und können so nachweisen, was sie schon gemacht haben in ihrem Beruf. Das funktioniert dort auch ohne eine Ausbildung zu haben oder zumindest keine besonders hochwertige, lang dauernde Ausbildung absolviert zu haben. Das ist also eine schöne Geschichte, an der sich auch die Länder jetzt orientieren wollen.
Was hat dich und deine Kollegen in dem Projekt überrascht? Womit hattet ihr so nicht gerechnet?
CK: Das Beispiel vom Workers‘ Pass hatte ich ja gerade schon erwähnt. Überraschend bzw. toll ist auch die Energie, mit der die Verantwortlichen an den Bildungszentren in Ruanda diese jetzt zu Solarexzellenzzentren ausbauen wollen. Unsere Partner sagen da jetzt: Wir wollen jetzt hier wirklich mit dem Solarbereich was machen. Das heißt nicht, dass man denen das nicht zutraut. Aber in der Entwicklungszusammenarbeit müssen wir häufig Überzeugungsarbeit leisten, weil die Leute einfach nicht die Erfahrung haben. Und da ist es im Gegensatz schön, zu sehen, wie intrinsisch motiviert unsere Partner sind.
Welche Hürden mussten in der Projektarbeit überwunden werden?
CK: Hürden gibt es in der Entwicklungszusammenarbeit sehr viele. Eine große Hürde war für uns die Zusammenarbeit mit den Ministerien. Diese ist in der Berufsbildung aber notwendig, zum Beispiel für Akkreditierungsprozesse. In Uganda hatten wir sehr große Schwierigkeiten mit dem Bildungsministerium in Kontakt zu kommen. Das hat gemauert. Dahingegen war das Arbeitsministerium war sehr positiv und offen für alles. Das liegt dann leider oft auch nur an einzelnen Personen. Diese politische Ebene ist teilweise wirklich schwierig. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, die Betriebe und die Wirtschaft zu erreichen und ihnen zu vermitteln: Arbeitet doch mit uns zusammen. Es geht um euren Nachwuchs.
Welche guten Ansätze habt ihr, um dennoch Betriebe für die Kooperation zu gewinnen?
CK: Wir treiben da wirklich so ein bisschen Handel und sagen beispielsweise: „Nehmt doch mal junge Leute für mehr als eine Woche in eurem Betrieb auf und dafür kriegt ihr von uns ein Capacity Building Training umsonst.“ Und ansonsten muss man immer wieder dranbleiben, immer wieder mit ihnen kommunizieren und vermitteln. Viele Betriebe haben nicht die Kapazitäten mit jungen Leuten in Kontakt zu kommen. Wir suchen nach Betrieben, die das wirklich wollen. Wir wollen zum Beispiel jetzt auch mal mit einem Betrieb aus Deutschland, der wirklich ganz tolle Nachwuchsarbeit betreibt, ganz viel für seine Mitarbeiter und für seine jungen Lehrlinge tut, in unsere Projektländer reisen. Damit der einfach mal erzählt: Wie hält er seine Lehrlinge bei sich? Wie bekommt er überhaupt erst mal die Lehrlinge? Und was bringen ihm seine Lehrlinge?
Man muss man ja immer vermitteln, dass es den Unternehmern etwas bringt, wenn sie den eigenen Nachwuchs heranbilden. Und das ist wirklich schwierig und das kann man auch nicht erwarten. In Deutschland gab es dazu einfach schon einen jahrhundertelangen Prozess. Aber wir versuchen die Unternehmer in unseren Projektländern nach und nach zu überzeugen, nach dem Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein.
Wie könnte sich denn das aktuelle Projekt noch weiterentwickeln? Und die Zusammenarbeit künftig ausgestaltet werden?
CK: Es ist uns ganz wichtig, dass wir da jetzt noch verstärkt die Betriebe in unserem Projekt mitnehmen und nicht nur mit den Schulen arbeiten. Wir wollen das, was wir erarbeitet haben auch mit den Betrieben weiterführen – unabhängig von Akkreditierungsprozessen oder schulischen Prozessen.
Was ist das Interesse der Handwerkskammer Koblenz an diesem und den anderen internationalen Projekten? Welchen Nutzen zieht ihr daraus?
CK: Das werden wir auch von unseren Mitgliedsbetrieben immer wieder gefragt. Die Handwerkskammer Koblenz macht seit 30 Jahren internationale Projekte, die finanziell unabhängig sind von den Mitgliedsbeiträgen. Wir wollen unterstützen. Handwerk hat ein ganz großes Potenzial, mit dem man einfach wahnsinnig viel erreichen kann. Gleichzeitig können wir unser Standing als Handwerk aufbessern. Wir motivieren Mitarbeiter und Mitgliedsbetriebe, auch mal einen Einsatz zu machen. So können wir sagen: „Handwerk geht auch ins Ausland.“ Wir können aber immer wieder auch selbst für uns sehr viel mitnehmen. Die Kooperation beruht auf Gegenseitigkeit und wenn es nur ist, dass ein Kollege aus der Kammer viele bereichernde persönliche Erfahrungen in den Einsätzen macht.
SG: Das macht ja auch euch als Arbeitgeber wieder interessanter, um z.B. die Stellen als Ausbilder an Bildungszentren zu besetzen.
CK: Genau! Das ist ganz klar auch eine Strategie. Aber wir fahren auf mehreren Schienen. Es wollen aber auch gar nicht mal so viele ins Ausland. Das ist auch interessant, das mal zu erfahren. Aber ich denke, das Handwerk kann einfach wahnsinnig viel unterstützen: In Drittstaaten oder auch überhaupt in anderen Ländern, weil wir unsere Erfahrungen haben mit der praxisorientierten Ausbildung und das eine gute Ausbildung ist, das muss man einfach sagen. Und wenn man in diese Länder kommt, sieht man, dass überall Handwerk ist. Also warum sollen wir nicht unterstützen, wenn wir können?
Möchtest du ansonsten abschließend noch etwas sagen zu Handwerk in der Entwicklungszusammenarbeit, Handwerk in der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit?
CK: Für mich ist es einfach so: Wenn man sich in diesen Ländern in Afrika bewegt und man sieht die ganzen Leute am Straßenrand arbeiten in ihren ganz kleinen Workshops: Das ist alles handwerkliche Tätigkeit. Das Handwerk ist so dezentral verteilt und so wichtig bei dem Aufbau einer starken Wirtschaft, dass das Handwerk unbedingt in der EZ ganz großen Stellenwert braucht. Ohne Handwerk kann ich mir den Aufbau oder die Stärkung einer Wirtschaft in einem Land nicht vorstellen. Das liegt nicht nur daran, dass ich bei der Handwerkskammer arbeite. Das ist ganz logisch. Man sagt ja nicht umsonst, dass das Handwerk die Wirtschaftsmacht von nebenan ist – eine ganz große wichtige Wirtschaftsmacht.
SG: Und das kann es auch in den Partnerländern der EZ sein.
CK: Genau.
SG: Vielen Dank für das Interview.