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Berufsbildungspartnerschaft mit Albanien: Projektarbeit für Nachhaltigkeit in Zeiten der Pandemie

Die Handwerkskammer (HWK) Dortmund unterhält seit Dezember 2019 eine Berufsbildungspartnerschaft mit der Shën Jozefi Punëtor Berufsschule in Rrëshen in Albanien sowie mit der Industrie- und Handelskammer Tirana. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert die Berufsbildungspartnerschaft über die sequa. Im Interview berichtet Tobias Schmidt, Leiter der internationalen Projektarbeit der HWK Dortmund, über das Projekt.

Das ganze Interview können Sie sich hier anschauen:

 

Die wichtigsten Punkte haben wir im Folgenden für Sie zusammengefasst:

Berufliche Bildung ist ein wirksames Instrument gegen Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel und auch eine wichtige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben. Welche Bedeutung haben das Handwerk und handwerkliche Berufsbildung in Albanien?

Albanien leidet unter einer hohen Jugendarbeitslosigkeit. Die Nähe zu Europa führt dazu, dass viele junge Menschen auswandern und versuchen, beispielsweise in Deutschland eine Ausbildung zu machen. Die Tradition der Berufsausbildung ist in Albanien im Zuge des Kriegs in den 90er Jahren ein Stück weit verloren gegangen. Ähnliches hatten wir schon bei unserem Projekt im Kosovo festgestellt. Dabei hat das Handwerk in Albanien einen hohen Stellenwert und ist ein Garant für einen schnellen Arbeitsmarkteinstieg, denn der gesamte Balkan ist – auch wegen Investitionen im Tourismus – eine aufstrebende Region. Es wird viel gebaut und es besteht ein sehr hoher Bedarf an qualifizierten Fachkräften, insbesondere in gewerblich-technischen Berufen. Leider gibt es auch viele kommerzielle und akademische Angebote, deren Absolventen keine passenden Jobs finden und dann als ungelernte Kräfte in anderen Bereichen arbeiten. Von daher ist Albanien und gerade die Region um Rrëshen ein sehr guter Ort, um berufliche Bildung voranzutreiben.

Wie ist das Projekt entstanden?

Unser Projektkoordinator Franc Musolli, der für uns lange Zeit im Kosovo tätig war, hat vor Ort ein sehr großes Netzwerk aufgebaut. Auf diesem Weg erfuhr auch die katholische Kirche, die die Schule in Rrëshen unterhält, von unseren Aktivitäten und trat mit uns in den Dialog. Es folgte eine Kennenlernphase mit gegenseitigen Besuchen, wobei uns zugutekam, dass Rrëshen und der Projektstandort im Kosovo nur etwa drei Autostunden voneinander entfernt sind.

Der Projektantrag wurde bei der sequa im Jahre 2014 eingereicht. Es gab verschiedene Unterstützer, die das Projekt gepusht haben. Im September 2019 haben wir die Projektfindungsmission mit dem externen Gutachter Wolfgang Dürig und dem Projektleiter der sequa, Christoper Nowak, durchgeführt. Wir haben vor Ort mit verschiedenen Stakeholdern Gespräche geführt und auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) Tirana als potenziellen Partner mit ins Boot geholt. Im Dezember 2019 sind wir dann mit dem Projekt gestartet.

Welche Ziele verfolgt das Projekt?

Ziel des Projekts ist es, die Berufsschule „Shën Jozefi Punëtor” und die IHK Tirana in die Lage zu versetzen, eine qualitativ hochwertige Aus- und Weiterbildung unter der Berücksichtigung der Bedarfe der regionalen Wirtschaft Nordalbaniens anzubieten. Die IHK Tirana ist der zentrale Akteur der verfassten Wirtschaft vor Ort. Beim Thema arbeitsmarktkompatibler Aus- und Weiterbildungsangebote sind wir immer mit ihnen vorangegangen.

Konkret sollen solide Werkstattkapazitäten vor Ort aufgebaut und Train-the-Trainer-Schulungen durchgeführt werden, z. B. in der Schweißtechnik, der Feinwerkmechanik, Sanitär-, Heizung-, und Klima- sowie Elektrotechnik. Wir wollen die Ausbildungsgegebenheiten vor Ort verbessern und parallel dazu auch konkrete Weiterbildungsangebote aufbauen. Dazu gehört, dass wir an einer Schweißkursstätte arbeiten, die nach dem Regelwerk des Deutschen Verband für Schweißen und verwandte Verfahren e.V. (DVS) qualifiziert. Hier wird mit Eigenmitteln der Schule bzw. der katholischen Kirche extra eine Werkstatt aufgebaut. Diese Qualifizierungen und Zertifizierungen sind gerade im Metallbaubereich notwendig, um mit anderen europäischen Ländern Handel treiben zu können.

Über die Vernetzung mit der Wirtschaft und der IHK vor Ort wird somit versucht, Schülerinnen und Schüler schneller in den Arbeitsmarkt aufzunehmen und bestehendes Personal zu qualifizieren.

Quelle: Shën Jozefi Punëtor Berufsschule in Rrëshen in Albanien

Was sind die wichtigsten bisherigen Ergebnisse des Projektes und welche Hürden haben Sie im Rahmen der Projektarbeit bereits bewältigt?  

Unser Projektstart fiel in die letzten Monate vor der Coronapandemie. Wir hatten gerade die Strukturen vor Ort aufgebaut und den Operationsplan geschrieben, als die Corona-Pandemie uns einen Strich durch die Rechnung machte.

Was haben wir dann in dieser Situation gemacht? Wir haben eine virtuelle Werkstattanalyse gemacht. Das heißt, die Personen vor Ort sind während einer Videokonferenz mit ihren Smartphones oder iPads durch die Werkstätten gegangen und haben so mit unseren Ausbilderinnen und Ausbildern in Dortmund eine Bestandsaufnahme gemacht. Wir haben uns ein Bild über die Situation und Ausstattung gemacht, ob es eine Kompatibilität zu unseren Kursen der überbetrieblichen Unterweisung gibt und was wir überhaupt durchführen können.

Aus diesen Aktivitäten heraus haben wir als erstes Beschaffungslisten erstellt, den Einbau und die Montage veranlasst, um nach Abebben der Corona-Pandemie starten zu können. Außerdem wurden einige ältere und abgeschriebene Geräte der Schweißkursstätte in Dortmund auf Vordermann gebracht und an die Partnerberufsschule gespendet.

Aufgrund der unsicheren Pandemie-Lage haben wir dann damit begonnen auch Onlineseminare anzubieten und bislang über 150 Personen in Train-the-Trainer-Schulungen geschult. In verschiedenen Bereichen, wie zum Beispiel Anlagenmechanik, Sanitär-, Heizung-, Klima- und Elektrotechnik, Feinwerkmechanik und Schweißtechnik haben wir dann virtuelle Schulungen vor Ort durchgeführt. Damit konnten wir die großen Theoriebereiche abbilden. Es wurden auch fachpraktische Schulungen mit einem Schweiß-Trainer, mit dem wir bereits im Kosovo-Projekt gearbeitet hatten, durchgeführt. Wir haben auch den großen Vorteil, dass wir hier einen Albanisch sprechenden Schweißlehrmeister haben, der diese Schulungen virtuell begleiten und sich mit dem Trainer vor Ort abstimmen konnte.

Zusammengefasst kann man sagen, dass unser sehr gut funktionierendes Netzwerk dazu beigetragen hat, dass unsere Aktivitäten permanent weitergeführt werden konnten.

Quelle: Shën Jozefi Punëtor Berufsschule in Rrëshen in Albanien

Wer sind Ihre maßgeblichen Unterstützer im Projekt?

Das waren maßgeblich die einzelnen Akteure vor Ort. Die Schule in Rrëshen selbst ist sehr gut aufgestellt und kümmerte sich insbesondere auch in der ersten Investitions-Phase des Projektes um die entsprechenden Einkaufsprozesse für die Werkstattausstattungen und alle weiteren organisatorischen Dinge. Das hat die Beschaffungsprozesse enorm vereinfacht.

Auch hier in Deutschland hatten wir Unterstützung von der albanischen Diaspora-Gemeinschaft. Diese hat sehr viel Engagement gezeigt, u. a. auch bei einer Vor-Ort-Präsentation beim BMZ, um das Projekt überhaupt starten zu können. Zudem gibt es neben den internen Kräften der HWK auch externe albanisch sprechende Kurzzeitexperten, die vor Ort in Albanien unterstützen. Denn wir merken immer wieder, dass der Balkan uns sehr nah ist. So haben wir immer wieder Auszubildende aus dem albanischen Sprachraum. Und diese Leute, die in Deutschland einen Handwerksberuf gelernt haben, sind dann die idealen Kurzzeitexperten für unsere Projekte, weil sie vor Ort keine Übersetzer benötigen.

Welche Herausforderungen für die Projektarbeit bringt Corona mit sich?

Die Corona-Pandemie bedeutet für uns, dass wir nicht reisen können. Das ist besonders schwierig, da in der Kommunikation zu den vor Ort angesiedelten Unternehmen vor allem der persönliche Dialog zählt. Das heißt, man muss zu den Betrieben fahren, man muss kleinere Veranstaltungen organisieren. Als Projekt ist es für uns unerlässlich direkt dort aktiv zu sein, um mit den Leuten in Kontakt zu kommen, die Werkstätten zu sehen und was dort produziert wird. Weiterhin stehen wir natürlich der Industrie- und Handelskammer zur Seite und erklären, wie die HWK Dortmund arbeitet z. B. bei Betriebsbesuchen, Ausbildungs- und Unternehmensberatung.

Unser Anspruch ist es nicht, eine deutsche Ausbildung in ein albanisches Gewand zu verpacken und akkreditieren zu lassen und dann vor Ort anzubieten. Es geht darum, punktuell bestimmte Elemente herauszuziehen, diese zu verändern und zu verbessern und natürlich kleinere Bausteine vor Ort anzubieten, die der Markt dann auch annimmt. Es kann keine vollumfängliche deutsche Ausbildung angeboten werden. Insbesondere versuchen wir aber eine Vernetzung zwischen der fachpraktischen Ausbildung in der Schule und längerfristiger Praktika in Betrieben – ähnlich der dualen Berufsausbildung – einzuführen.

Umweltschutz sowie soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit sind für das Handwerk wichtige Themen. Welche Rolle spielen die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit im Projekt?

 Nachhaltigkeit spielt eine sehr große Rolle, vor allem in den Bereichen Sanitär-, Heizung- und Klima- sowie KFZ-Technik. Wie haben uns die Konzepte vor Ort intensiv angesehen. Ein bedeutender Aspekt ist die Energieeffizienz. Ein großer Vorteil ist, dass Solarthermieanlagen und Photovoltaikpanels in der Schule bereits vorhanden sind. Wir haben auch mit den regional ansässigen Herstellern Kontakt aufgenommen, um darüber zu reden, ob man in Form von einem Sponsoring o. Ä. eine Art Kompetenzzentrum zum Thema erneuerbare Energien aufbauen könnte.

Auf der anderen Seite haben wir auch gemerkt, dass Reisezeiten nicht mehr in dem Umfang notwendig sind, wie sie vor der Corona-Pandemie üblich waren. Es hat sich herauskristallisiert, dass bestimmte Besprechungsformate und Teile von Schulungen auch online durchgeführt werden können. Dies hat somit auch große Vorteile in Bezug auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz.

Es ist eine Mixtur aus den operativen Dingen vor Ort in der Werkstatt und natürlich den prozessualen organisationalen Dingen drum herum. Hier hat die Corona-Pandemie durchaus dazu beigetragen, dass solche Dinge sich auch verändern. Nachhaltigkeit sehe wir also im Prozess der Projektarbeit, aber auch darin, in Albanien die handwerklichen Kompetenzen aufzubauen, um nachhaltige Technologien zu verbreiten.

Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch, dass es viele KfW-Vorhaben in der Region gibt, die generell zur Nachhaltigkeit und zur Energieeffizienz und Ressourcenschonung beitragen sollen. Dazu leisten wir einen Beitrag, denn qualifizierte Fachkräfte können Montagearbeiten in den Strom- und Wassernetzen so durchführen, dass Verluste vermieden werden können.

Quelle: Shën Jozefi Punëtor Berufsschule in Rrëshen in Albanien

Wie könnte sich das aktuelle Projekt weiterentwickeln und wie könnte die Zusammenarbeit zukünftig gestaltet werden?

Wir setzen darauf, dass aus den Aktivitäten heraus neue Impulse entstehen. Eine Idee wäre beispielsweise eine Kunststoffkursstätte, die Mitarbeitende aus Tiefbaubetrieben oder Betriebe im Energiebereich, die am Rohrleitungsnetz arbeiten, qualifiziert.

In erster Linie geht es natürlich darum die Aktivitäten vor Ort fortzusetzen und nachhaltig in die Prozesse der operativen Ausbildung zu investieren, sodass dort ein Leuchtturm entsteht. Als weiteren Schritt könnte man kleinere Qualifizierungs-Bausteine entwickeln, die als „Best Practice“ gesehen werden. Da die politische Aufmerksamkeit und das Interesse an dem Projekt – gerade bei einem Gespräch mit dem albanischen Innenminister – sehr groß geworden ist, sehe ich sehr viel Potenzial darin, dass Bausteine der dualen Ausbildung übernommen und der Region somit neue Impulse und Entwicklungsmöglichkeiten gegeben werden. Vorstellen könnte ich mir z. B. staatlich anerkannte Kurse im Bereich der Wartung von Klimaanlagen oder zur Montage und sicherheitstechnischen Überwachung von Gasthermen oder ähnlichem. Das sind sicherheitsrelevante Bereiche. Von daher gehe ich davon aus, dass die Gesellschaft vor Ort den Wert darin anerkennt, dass diese Arbeiten von qualifizierten Fachkräften durchgeführt werden. Albanien entwickelt sich zunehmend zum Dienstleistungs- und Tourismusland und da stehen europäische Standards ganz oben.

Hierzulande arbeiten wir nicht mit Teilqualifizierungen, aber andere Länder haben andere Voraussetzungen, die auch mit den dortigen staatlichen Finanzierungsmechanismen zusammenhängen. Deswegen können Kurzzeitqualifizierungen in Albanien funktionieren.

Welches Interesse hat die Handwerkskammer Dortmund an dieser Zusammenarbeit? Welchen Nutzen ziehen Sie daraus?

Also in erster Linie ist die Handwerkskammer Dortmund schon seit geraumer Zeit im Rahmen der internationalen Entwicklungsprojekte unterwegs. Wir sehen uns auf der einen Seite in der sozialen Verantwortung und folgen natürlich auch dem Ruf des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, dass die kompetenten Institutionen hier vor Ort sich in der Entwicklungszusammenarbeit einbringen. Wir durften durch Projekte bereits in verschiedenen Ländern Erfahrungen sammeln wie in Kuba, Mexiko, Kosovo, Serbien, Griechenland und der Türkei. Dadurch gibt es einen breiten Fundus an Wissen, der rund um die Themen berufliche Bildung, Wirtschaftsförderung und Förderung von Kleinst- und Kleinunternehmen in den jeweiligen Herkunftsländern gesammelt wurde. Dieses Wissen wollen wir weiter einbringen.

Auf der anderen Seite sehen wir internationale Projekte als eine Art „Personalentwicklungsinstrument“, um Menschen, die großes Interesse haben an solchen Projekten mitzuwirken, diese Möglichkeit zu bieten. Das hat auch etwas mit Selbstentfaltung zu tun.

Als Kammer möchten wir uns auch an der Bekämpfung von Fluchtursachen beteiligen. Wir wollen aber auch den Menschen, die in ihrem Migrationsprozess nicht aufzuhalten sind, die Möglichkeit geben sich schnellstmöglich hier in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Wir haben uns in den Jahren 2015 bis 2017 bei den BMZ-Sondermaßnahmen intensiv eingebracht, um Menschen mit Fluchthintergrund die Möglichkeit zu bieten, schnellstmöglich eine gute und qualifizierte Ausbildung zu absolvieren, mit der sie überall auf der Welt die Möglichkeit haben, einer guten Tätigkeit nachzugehen.

Vielen Dank für dieses Interview, Herr Schmidt. Weitere Informationen zur internationalen Berufsbildungszusammenarbeit des Handwerks finden Sie auf scivet.de.

Interviewpartner:

Tobias Schmidt,

Leiter der Abteilung Ausbildungsberatung der Handwerkskammer Dortmund

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