International Vocational Education & Training
Mitglieder-Login
Deutsch English
Change to Desktop view

Berufsbildung unter Palmen: Kooperation der HWK Flensburg mit St. Kitts and Nevis

Im Interview berichten Celina Niehoff, Mobilitätsberaterin bei der Handwerkskammer Flensburg sowie die Zimmerermeister Rainer Carlsen und Hauke Heisig über die Kooperation der Handwerkskammer Flensburg mit dem Karibikstaat St. Kitts und Nevis. Die beiden Zimmerermeister waren kürzlich gemeinsam mit zwei Elektronikermeistern vor Ort. Die Gesprächspartner berichten von den Zielen der Zusammenarbeit, ihren Erfahrungen vor Ort und den dortigen Herausforderungen der handwerklichen Ausbildung. Themen wie Nachhaltigkeit, Improvisationskünste und internationaler Austausch stehen dabei im Fokus.

Das Interview wurde am 16. Dezember 2024 geführt.

Das gesamte Gespräch steht auf Youtube auch als Video zur Verfügung (Dauer 30 Minuten).

Screenshot des Interviews von Sophia Grunert mit Rainer Carlsen, Hauke Heisig und Celina Niehoff
Screenshot des Interviews von Sophia Grunert mit Rainer Carlsen, Hauke Heisig und Celina Niehoff

Sophia Grunert: Anfang 2024 erreichte die SCIVET-Koordinierungsstelle eine Anfrage von der Sonderbeauftragten des Inselstaates St. Kitts and Nevis, Ama Martin. Es ging dabei um die Ausbildung junger Menschen und eine breit angelegte Kooperation in der beruflichen Bildung.

Frau Niehoff, wie ging es nach der anfänglichen Kontaktvermittlung durch die SCIVET-Koordinierungsstelle weiter?

Celina Niehoff: Frau Martin von St. Kitts und Nevis hat sich bei uns in der Handwerkskammer Flensburg gemeldet. Vorab haben wir telefoniert und über Möglichkeiten und Chancen gesprochen. Bei ihrem Besuch haben wir das Gespräch vertieft und uns darüber ausgetauscht, wie wir die berufliche Bildung im Handwerk aus deutscher Sicht in St. Kitts und Nevis präsentieren können. Wir haben über mögliche Ausbildungsberufe und Expertinnen und Experten nachgedacht und schließlich einen groben Rahmenplan erstellt.

Anschließend wurde ich auf besonderen Wunsch des Premierministers des Inselstaats, The Honourable Dr. Terrance Drew, eingeladen, unser gemeinsames Memorandum of Understanding zu unterzeichnen. In diesem Dokument haben wir die Ziele der Kooperation festgehalten – vor allem die handwerkliche Berufsausbildung voranzutreiben, stets unter Berücksichtigung der kulturellen und geografischen Besonderheiten sowie der Nachhaltigkeit. Danach ging es richtig los.

Unterzeichnung des Memorandum auf Understanding. Foto: HWK Flensburg
Unterzeichnung des Memorandum auf Understanding. Foto: HWK Flensburg

Herr Carlsen, Herr Heisig – Sie waren Ende November, Anfang Dezember 2025 in St. Kitts und Nevis. Welche Eindrücke haben Sie dort vom Handwerk und der handwerklichen Berufsbildung bekommen?

Rainer Carlsen: Wir wurden eingeladen, um eine Projektwoche durchzuführen. Vor Ort haben wir eine Berufsschule mit einem großen Werkraum vorgefunden, allerdings fehlte es an der Ausstattung, wie wir sie aus Deutschland kennen. Dennoch waren die Menschen sehr motiviert. Wir haben ein kleines Projekt vorbereitet: eine Dachkonstruktion, die wir gemeinsam mit den Teilnehmern gezeichnet und umgesetzt haben.

Vor Ort haben wir auch Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen geführt. Interessant war, dass deren Arbeitsmethoden von unseren abweichen – vor allem wegen des ständigen Windes und der Hurrikans. Dort spielt Beton eine viel größere Rolle, während Zimmererarbeiten eher einfach ausgeführt werden.

Eine Dachkonstruktion entsteht. Bilder: HWK Flensburg

Wie läuft die Ausbildung in St. Kitts und Nevis aktuell ab?

Hauke Heisig: So wie wir es verstanden haben, erfolgt die Ausbildung hauptsächlich im Betrieb nach dem Prinzip “Learning by Doing”. Zusätzlich können die Auszubildenden Zusatzausbildungen oder Kurse im Bildungszentrum buchen, um Zertifizierungen zu erhalten. Ein dual strukturiertes Ausbildungssystem, wie bei uns in Deutschland, gibt es dort nicht.

Rainer Carlsen: In der Ausbildung in Deutschland zeichnen wir viel und arbeiten viel mit der Hand. So kennt man das auf St. Kitts and Nevis nicht. Dort werden zwar auch kleinere Werkstücke erstellt, aber deutlich weniger als hier.

Warum haben Sie sich für diesen Experteneinsatz entschieden?

Rainer Carlsen: Als wir von der Möglichkeit gehört haben, waren wir neugierig: Wie wird in anderen Ländern ausgebildet? Was sind die Unterschiede? Wie sind die Menschen dort? Es war faszinierend zu erleben, wie herzlich wir aufgenommen wurden. Die Menschen dort sind unglaublich fürsorglich und offen. Wir haben dort in einer normalen Wohnung gewohnt und durften so den Alltag miterleben und hatten ganz tolle Nachbarn. Persönlich war es spannend zu sehen, wie viel sie mit wenigen Ressourcen improvisieren. Unsere Erlebnisse haben uns noch einmal verdeutlicht, wie wertvoll unser eigenes Ausbildungssystem ist.

Hauke Heisig: Wir haben den Vorteil, dass wir mit unseren deutschen Strukturen schnell und effizient arbeiten können. Dort lernt man aber zu improvisieren – aus nichts ganz viel zu machen und das ist auch eine Kunst. Unsere Kursteilnehmer waren überrascht, wie handwerklich praktisch wir mit ihnen gearbeitet haben. Das kannten sie sonst nicht. Die neuen Fähigkeiten konnten sie bei uns dann aber gleich in der Realität anwenden.

Rainer Carlsen: Wir haben mit den Teilnehmern ein Dach konstruiert und das fing damit an, dass sie es auf einem Blatt Papier zeichnen mussten. Am Ende stand dann ein fertiges kleines Dach. Und es war schön zu sehen, wie das die Teilnehmer begeistert hat.

Hauke Heisig: Wir wollen natürlich unsere Leidenschaft, die wir fürs Handwerk haben herüber transportiert sehen. Und wenn das funktioniert, dann sind wir glücklich, mehr wollen wir gar nicht.

Alles bereit für einen Schulungstag in der Elektrotechnik. Foto: HWK Flensburg
Alles bereit für einen Schulungstag in der Elektrotechnik. Foto: HWK Flensburg
Arbeitsmaterial. Foto: HWK Flensburg
Arbeitsmaterial. Foto: HWK Flensburg

Wenn Sie den Berufsbildungsakteuren in St. Kitts and Nevis einen Rat geben würden, wie sie ihre handwerkliche Berufsbildung verbessern könnten, was wäre das?

Rainer Carlsen: Wir würden empfehlen, mehr Handarbeit zu trainieren und Maschinenschulungen im Hinblick auf deren effizienten, aber auch sicheren Einsatz zu machen. Das Thema Arbeitssicherheit hat unsere Partner auch interessiert.

Welche Hürden gab es denn im Rahmen der Kooperation und welchen Herausforderungen sehen Sie sich noch gegenüber?

Rainer Carlsen: Aus fachlicher Sicht ist die Frage, wie das, was wir jetzt begonnen haben, in unserem Partnerland Wurzeln schlagen kann und aus der Kooperation noch mehr wächst.

Celina Niehoff: Ich schließe mich an das Gesagte an. Die Kooperation ist erst am Anfang und es ist wichtig, dass wir da dran bleiben. Was weitere Hürden angeht, ist die große Entfernung und damit lange Anreise zu nennen. Und unsere Experten haben ja auch hier in der Heimat einen Alltag und teilweise auch eigene Betriebe. Das heißt, dass wir sinnvolle Inhalte in kurzen Einsätzen vermitteln müssen. Und darüber hinaus ist die Ressourcenknappheit vor Ort eine Herausforderung.

Holz, das noch einmal verwendet werden kann. Foto: HWK Flensburg
Holz, das noch einmal verwendet werden kann. Foto: HWK Flensburg

Sie haben das Thema Nachhaltigkeit angesprochen. Welche Rolle spielt dieser Aspekt in der Kooperation?

Hauke Heisig: Wir achten darauf, Materialien möglichst effizient zu nutzen. Bei den Projekten der ersten Gruppe wurden beispielsweise Verpackungskisten im Sinne des Upcyclings für eine Dachkonstruktion verwendet.

Rainer Carlsen: Und wir haben darauf geachtet, dass das Holz wiederverwendet werden kann. Das nächste Projekt war dann kleiner.

Celina Niehoff: Nachhaltigkeit spielt eine große Rolle. Für die nächsten Einsätze haben wir bereits konkrete Pläne: Ein Metallbauer wird Schulungen zu Maschinenhandling geben, während ein Tischler Musikboxen aus Holz herstellen wird – nachhaltig, da sie ohne Strom auskommen.

Wer sind die maßgeblichen Unterstützer der Kooperation?

Celina Niehoff: Zum einen ist das der Staat St. Kitts und Nevis, der großes Interesse an der Zusammenarbeit hat und uns administrativ unterstützt. Zum anderen die Handwerkskammer Flensburg, die die Einsätze organisiert und die Expertinnen und Experten auswählt. Während der Organisation hat auch das Netzwerk von Berufsbildung ohne Grenzen unterstützt, in dem die Handwerkskammer Flensburg auch Mitglied ist. Finanziell werden wir von Erasmus Plus, dem europäischen Förderprogramm, unterstützt.

Treffen der Handwerksexperten mit dem Premierminister. Bild: sknis.gov.kn

Wie könnte sich die Kooperation in Zukunft weiterentwickeln?

Celina Niehoff: Wir planen, dass zwei junge Menschen aus St. Kitts und Nevis nach Deutschland kommen, um hier eine Ausbildung zu absolvieren und ihre Erfahrungen zu teilen. Auch Ausbilder aus St. Kitts und Nevis sind bei uns jederzeit willkommen, um Workshops zu besuchen und sich auszutauschen.

Die Experten der HWK Flensburg bei der Partnerorganisation. Foto: HWK Flensburg
Die Experten der HWK Flensburg bei der Partnerorganisation. Foto: HWK Flensburg

Welchen Nutzen sieht die HWK Flensburg in dieser Kooperation?

Celina Niehoff: Diese Zusammenarbeit ist ein wertvoller Beitrag zur Stärkung der beruflichen Bildung. Unsere Ausbilder und Lehrkräfte profitieren vom interkulturellen Austausch und von neuen Erfahrungen, die sie auch hier weitergeben können. Zudem schärft die Kooperation das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Improvisationsfähigkeit.

Rainer Carlsen: Für uns war es eine tolle Erfahrung. Die Begeisterung und Motivation der Menschen vor Ort hat uns beeindruckt. Solche Kooperationen sind wichtig, um Horizonte zu erweitern. Wenn ich meinen Auszubildenden von diesem Einsatz berichte, sind sie ganz interessiert. Wir erhoffen uns, dass wir sie so auch zu Austauschen motivieren können. Aus den Austauschen, die die Handwerkskammer Flensburg mit Frankreich und Finnland hat, sehen wir, dass die jungen Menschen in ihrem Selbstbewusstsein wachsen und noch weltoffener werden. Und gerade in der heutigen Zeit können wir das gar nicht genug haben, dass wir feststellen, dass wir doch alle gleich sind und uns gegenseitig stützen und dadurch mehr schaffen können.

Hauke Heisig: Wir haben in der kurzen Zeit, die wir jetzt da waren, schon gemerkt, dass der internationale Austausch etwas mit uns, aber auch mit denen macht. Das war schön zu sehen.

Sophia Grunert: Vielen Dank für dieses spannende Gespräch und viel Erfolg für die weitere Zusammenarbeit!

Impressionen des Experteneinsatzes. Bilder: HWK Flensburg

Ich stimme der Verwendung von Cookies zu. Informationen über Cookies und Ihre Rechte erhalten Sie im Datenschutzhinweis.