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Berufsbildungspartnerschaft mit Südafrika: Handwerkliche Kompetenzen für nachhaltige Entwicklung

Seit 2015 unterhält die Kreishandwerkerschaft Steinfurt Warendorf (KH) eine Berufsbildungspartnerschaft (BBP) mit dem uMfolozi College. Dieses liegt in der Stadt Richard’s Bay in der südafrikanischen Provinz KwaZulu-Natal. Dr. Jan-Niclas Gesenhues, Leiter der Abteilung Berufsbildung International der Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf, berichtet von dem Projekt und davon, welche Auswirkungen Corona auf die Berufsbildungspartnerschaft hat.

Berufliche Bildung ist ein wirksames Instrument gegen Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel und auch eine wichtige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben. Welche Bedeutung haben das Handwerk und handwerkliche Berufsbildung in Südafrika?

Die zweitstärkste Volkswirtschaft Afrikas befindet sich weiterhin in einer Phase des Aufbaus ihrer Infrastruktur. Dabei fällt dem Bausektor eine starke Bedeutung zu. Der Handwerkssektor hat für die Wirtschaft insgesamt eine große Relevanz, aber vor allem eine hohe beschäftigungspolitische Bedeutung: Er bietet gute Jobs in einem Umfeld insgesamt hoher Arbeitslosigkeit – gerade unter Jugendlichen.

Der sogenannte informelle Sektor mit Soloselbstständigen, Klein- und Kleinstunternehmen hat für den südafrikanischen Arbeitsmarkt ebenfalls eine wichtige Bedeutung. Dieser bietet vielen Leuten berufliche Perspektiven mit der Möglichkeit, aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen und sich selbstständig zu machen. Das Handwerk spielt innerhalb dieses Sektors eine wichtige Rolle. Gerade Leute mit einer qualifizierten Ausbildung, wie wir sie im Rahmen der BBP aufbauen, können sich selbstständig machen und mit qualitativ hochwertigen Dienstleistungen am Markt durchsetzen.

Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizung- und Klimatechnik am uMfolzi College

Wie ist das Projekt entstanden und welche Ziele verfolgt es?

Die Initialzündung für die Kooperation mit dem uMfolozi College war ein Besuch einer südafrikanischen Delegation bei der Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf. Die Delegationsreise informierte zum dualen Ausbildungssystem in Deutschland. Aus diesen ersten Kontakten ist der Wunsch entstanden, die Kooperation zu vertiefen.

Ende 2015 erhielt die KH vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die Finanzierungszusage für die Berufsbildungspartnerschaft. Seitdem sind wir in Südafrika aktiv und unterhalten eine enge Partnerschaft mit dem uMfolozi TVET College und verschiedenen Verbänden der verfassten Privatwirtschaft, aber auch der Politik.

Das übergeordnete Ziel der BBP ist es, die Beschäftigungsmöglichkeiten der Absolventinnen und Absolventen des Colleges zu verbessern und gleichzeitig die dortigen Betriebe mit qualifizierten Fachkräften zu versorgen.

Unser Ansatz, um dieses Ziel zu erreichen, ist es, ausgewählte Element der dualen Ausbildung in Südafrika zu implementieren. Dabei ist es immer notwendig, länderspezifische Lösungen zu finden. Aufgrund der südafrikanischen Gesetzgebung werden beispielsweise Auszubildende auch weiterhin zuerst am College eingeschrieben und schließen nicht zuerst den Lehrvertrag mit einem Betrieb, wie das in Deutschland üblich ist. Dabei konzentrieren wir uns auf die Berufe Maurer, Anlagenmechaniker SHK, Verputzer und Zimmerer.

Delegationsbesuch aus Südafrika im Jahr 2019: Station zum Thema Bau und SHK

Was sind die wichtigsten bisherigen Ergebnisse des Projektes?

Als ein sehr wichtiges Ergebnis ist der Aufbau des Ausbildungszentrums „Construction Center of Excellence“ zu nennen. Darin durchlaufen bereits 150 Auszubildende die Berufsausbildung. An diesem Center haben wir unseren Partner – das uMfolozi College – dabei unterstützt, eine duale Berufsausbildung einzuführen. Zu diesem Zweck haben wir zuerst die Curricula überarbeitet und mit verschiedenen Behörden und Institutionen die rechtlichen Rahmenbedingungen geklärt. Außerdem haben wir ein Unternehmensnetzwerk aufgebaut, sodass die Auszubildenden in den 25 beteiligten Unternehmen unter Praxisbedingungen lernen können.

Der Aufbau der dualen Ausbildung wurde von uns mit einem intensiven Training der beteiligten Akteure begleitet. Wir haben acht Ausbilder des Ausbildungszentrums fachlich und didaktisch intensiv fortgebildet. Dafür haben wir sowohl in Südafrika als auch in Deutschland Lehrgänge durchgeführt. Zusätzlich haben wir 25 betriebliche Ausbilder geschult, um den betrieblichen Ausbildungsteil fachlich und didaktisch abzusichern.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist der Aufbau unseres Gründungszentrums. Seit 2017 werden in diesem Rahmen Start-Ups unterstützt, welche Handwerk und Digitalwirtschaft miteinander verknüpfen. Es gibt mittlerweile 25 Ausgründungen mit Fokus auf innovative Geschäftsmodelle. Hierdurch wurden mittlerweile 60 neue Arbeitsplätze geschaffen.

Zudem haben wir dafür gesorgt, dass die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche duale Ausbildung stimmen, d. h. dass wir intensive Überzeugungsarbeit in den Betrieben geleistet haben. Sie wurden u. a. zu Delegationsreisen nach Deutschland eingeladen, wo das System der dualen Ausbildung vorgestellt wurde. Zudem haben wir dazu beigetragen, dass das Handwerk in der Region um Richard’s Bay jetzt als attraktiver wahrgenommen wird, indem wir die Partner intensiv bei ihrer Imagearbeit unterstützt haben.

Das sind Leuchttürme, die auch schon eine Strahlkraft innerhalb Südafrikas entfaltet haben. In der aktuellen Projektphase arbeiten wir daran, dass die Ergebnisse aus unserem Pilotprojekt in Südafrika weiterverbreitet und angewendet werden.

Technikprojekt mit Kindern und Jugendlichen am Gründungszentrum

Welche Hürden haben Sie im Rahmen der Projektarbeit bereits bewältigt und welchen Herausforderungen sehen Sie sich noch gegenüber?

Am Anfang stand die erste große Herausforderung: „Suche nach geeignetem Langzeitpersonal“. Dabei hat die Kreishandwerkerschaft großen Wert auf Erfahrung, Eignung und Fähigkeiten sowie eine Verwurzelung vor Ort gelegt. Die Verwurzelung unserer Langzeitexperten vor Ort bringt mit sich, dass sie kulturelle Kenntnisse haben, in Südafrika vernetzt sind und sich mit dem Partnerland identifizieren. All dies ist für die Projektarbeit – insbesondere aktuell in Coronazeiten – von unschätzbarem Wert. So sind unsere Mitarbeiter weiterhin vor Ort und setzen dort die Projektarbeit fort.

Wir haben im Rahmen dieses Projekts viel Netzwerkarbeit gemacht, ohne die eine betriebliche Ausbildung nicht denkbar wäre. Die Netzwerkarbeit des Colleges mit den Betrieben wurde ausgebaut. Diese mussten – und müssen nach wie vor – zunächst überzeugt werden, dass betriebliche Ausbildung ein sinnvolles Instrument ist. Auch die Bereitschaft der Regulierungsbehörden für betriebliche Ausbildung musste gewonnen werden.

Eine weitere Herausforderung ist, dass die Kooperationsbereitschaft der Partner in internationalen Projekten sehr stark abhängig ist von den Personen, die hier jeweils in der Verantwortung stehen.

Die genannten Herausforderungen haben wir bisher aber immer noch gemeistert.

Umweltschutz sowie soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit sind für das Handwerk wichtige Themen. Welche Rolle spielen die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit im Projekt?

Wirtschaftliche Nachhaltigkeit ist eines unserer Kernziele. Mit dem Ansatz, eine qualifizierte handwerkliche Ausbildung anzubieten, streben wir an, dauerhaft hochwertige Beschäftigungsverhältnisse zu kreieren. Die Absolventinnen und Absolventen sollen langfristig in einer Anstellung oder Selbständigkeit wirtschaftliche Perspektiven für sich und ihre Familien finden. Auf der einen Seite ist dies ein Aspekt sozialer Nachhaltigkeit für die Auszubildenden und auf der anderen Seite ein Aspekt wirtschaftlicher Nachhaltigkeit, weil wir über die Anhebung des Qualifikationsniveaus einen Beitrag zur Fachkräftesicherung in Südafrika leisten – und damit auch zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung in Südafrika.

Wir nehmen wahr, dass bei den Projektpartnern unter der Überschrift „Arbeitssicherheit“ das Thema Umweltschutz/ Hygiene ein ganz wichtiges ist. Hier werden oft Defizite kommuniziert. Sowohl das College als auch Betriebe fragen Trainings in diesen Bereichen nach.

Delegationsbesuch aus Südafrika im Jahr 2019: Station zum Thema Erneuerbare Energien

Wer sind Ihre maßgeblichen Unterstützer im Projekt?

Unterstützer sind vor allem das südafrikanische Bildungsministerium und das Wirtschaftsministerium. Diese Unterstützung beruht allerdings auch auf Gegenseitigkeit. Es gibt in Südafrika landesweite Räte für die Zukunft der beruflichen Bildung. In diesem Rahmen holt das Bildungsministerium unterschiedliche Akteure des Berufsbildungssektors und der Privatwirtschaft an einen Tisch. Die KH berät und unterstützt die südafrikanische Regierung konkret zum Thema duale berufliche Ausbildung. Mit der GIZ gibt es eine gute Arbeitsbeziehung. Auch beim Runden Tisch der deutschen Botschaft in Pretoria sind wir über unseren Langzeitexperten eingebunden.

Austausch mit der südafrikanischen Privatwirtschaft

Südafrika erlebt im Zuge der Corona-Pandemie einen langen und sehr strengen Lock-Down. Welche Auswirkungen – hinsichtlich der Einschränkungen im Rahmen der Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung – gibt es auf das Projekt? Wie gehen Sie damit um?

Der Lockdown in Südafrika hat extrem negative Auswirkungen auf die Wirtschaft in Südafrika. Das Land hatte auch schon vor Corona mit einer hohen Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. In der informellen Wirtschaft kann ein wochenlanger Lockdown heißen, dass die Leute kein Einkommen mehr zum Überleben haben. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind in Südafrika also noch deutlich intensiver spürbar als in Deutschland.

Auch das uMfolozi-College war natürlich vom Lockdown betroffen. Aktuell agiert es im reduzierten Betrieb. Da sich die Colleges in Südafrika zu einem großen Teil selbst finanzieren müssen, sind die finanziellen Auswirkungen nicht unerheblich und eine große Aufgabe besteht darin, die zukünftige Absicherung des Colleges zu gewährleisten. Durch die desolate wirtschaftliche Situation ist die Befürchtung, dass die Unternehmen vor Ort ihre Prioritäten woanders setzen als in die betriebliche Ausbildung.

Es gibt derzeit weder Kurzzeiteinsätze von deutschen Fachkräften in Südafrika, noch werden südafrikanische Fachkräfte in Deutschland geschult und es gibt aktuell auch keine Delegationsreisen. Durch digitale Trainings haben wir diese Ausfälle zum Teil kompensiert. Im rein handwerklich-praktischen Bereich sind solche Maßnahmen aber  oft schwierig bis nicht voll umsetzbar.

Wie könnte sich das aktuelle Projekt weiterentwickeln und wie könnte die Zusammenarbeit zukünftig gestaltet werden?

Wir möchten dazu beitragen, dass die aufgebauten Strukturen nachhaltig und langfristig verstetigt werden.  Durch gezielte Anschlussmaßnahmen und Kooperationsmöglichkeiten kann die deutsche Entwicklungspolitik uns hierbei gezielt unterstützen. Gerne würden wir durch die Zusammenarbeit mit unseren bisherigen und neuen Partnern weiterhin einen Beitrag zur Entwicklungszusammenarbeit des BMZ leisten und dazu beitragen, die guten Ansätze des Projektes in Südafrika weiter zu verbreiten. Anknüpfungspunkte gibt es dazu auch in unserer engen Kooperation mit der GIZ und den südafrikanischen Verbänden.

Welche Interessen hat die KH Steinfurt Warendorf an dieser Zusammenarbeit? Welchen Nutzen ziehen Sie daraus?

Mit unseren internationalen Projekten übernehmen wir globale Verantwortung und tragen dadurch auch zu einer Attraktivitätssteigerung des Handwerks in unserer Region bei. Die KH wird in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen und der Aufbau guter Netzwerke zu Politik, Verbänden und Behörden wird durch internationale Partnerschaften gefördert.

Dank der internationalen Projekte können wir außerdem Fachkräften und Auszubildenden aus unserer Region oder unserem Hause die Möglichkeit geben, internationale Erfahrungen in Form von Experteneinsätzen oder Praktika zu sammeln.

Wir sehen uns als Teil einer Partnerschaft, in der beide Seiten voneinander lernen und profitieren. Wir sind keine klassische Einrichtung der Entwicklungszusammenarbeit, sondern eine Organisation, die hinsichtlich Struktur, Zielen und Aufgaben ähnlich ausgerichtet ist wie unsere Partnerorganisationen. Oder konkret gesprochen: Wir sind Bildungs- und Serviceanbieter für das Handwerk, ebenso wie die Ausbildungseinrichtungen und Verbände, mit denen wir in den Partnerländern kooperieren. Dieser Ansatz wird von unseren Partnern sehr geschätzt.

Unsere positiven Erfahrungen in Südafrika waren die Grundlage für den Aufbau weiterer Partnerschaftsprojekte. So koordinieren wir mittlerweile unter anderem auch eine weitere Berufsbildungspartnerschaft in Mosambik und ein gemeinsames Projekt mit der GIZ zur Qualifizierung im Handwerk in Jordanien. Ohne das große persönliche Engagement unserer Geschäftsführung und den Rückhalt bei unseren Mitgliedsbetrieben sowie bei den Kolleginnen und Kollegen, wären diese guten Ergebnisse im Bereich Internationale Projekte der KH nicht möglich gewesen.

Porträt von Dr. Jan Niclas Gesenhues

Dr. Jan-Niclas Gesenhues

Leiter der Abteilung Berufsbildung International der Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf

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