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SEC-pLus – Das Plus für die berufliche Bildung in Lettland

Starke Berufsausbildung durch starke Branchenexpertenräte

Wie können Wirtschaft, Bildung und Politik gemeinsam die Zukunft der Berufsbildung gestalten? Diese Frage steht im Zentrum des Projekts SEC-pLus – Starke Berufsausbildung durch starke Branchenexpertenräte, das seit Juni 2024 in Lettland umgesetzt wird. Das Projekt ist Teil der bilateralen Berufsbildungszusammenarbeit zwischen Deutschland und Lettland und hat sich zum Ziel gesetzt, die Rolle der sogenannten Sectoral Expert Councils (SECs) – also Branchenexpertenräte – als Steuerungsinstrumente der Berufsbildung zu stärken.

Das Projekt wird in einer Kooperation zwischen der Deutsch-Baltischen Handelskammer (AHK) Lettland, der Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk (ZWH) und der Handwerkskammer Südthüringen durchgeführt. Gemeinsam fördern sie den Erfahrungsaustausch, die Professionalisierung der SECs und die aktive Beteiligung der Wirtschaft an der Weiterentwicklung der Berufsbildung.

Das schriftliche Interview mit Agnese Lahr, Projektleiterin bei der ZWH, wurde im Oktober 2025 geführt.

Der Untertitel von SEC-pLus ist „Starke Berufsausbildung durch Starke Branchenexpertenräte“. Es geht also um die Einbindung der Wirtschaft in die Steuerung der beruflichen Bildung. Wie sieht Berufsbildung aktuell in Lettland aus und welche Rolle spielen Wirtschaftsvertreter und Gewerkschaften?

Das lettische Berufsbildungssystem kombiniert berufliche Ausbildung mit allgemeiner Bildung. Nach der neunten Klasse entscheiden sich Schülerinnen und Schüler, die eine berufliche Qualifikation anstreben,ob sie ein rein berufliches oder ein kombiniertes Bildungsprogramm absolvieren. Letzteres führt in vier bis fünf Jahren zu einem Berufsabschluss und gleichzeitig zur Hochschulzugangsberechtigung. Daneben gibt es kürzere Programme für Erwachsene oder für Absolventinnen und Absolventen der Sekundarstufe, die eine zusätzliche Qualifikation erwerben möchten. Insgesamt liegt die Ausbildungsdauer je nach Programm zwischen zwei und fünf Jahren.

Das System wird zentral durch das Bildungs- und Wissenschaftsministerium organisiert und wurde seit dem EU-Beitritt 2004 umfassend modernisiert – unter anderem im Zuge des Bologna-Prozesses und der Einführung des Europäischen Qualifikationsrahmens.

Besonders charakteristisch für die Berufsbildung in Lettland ist die enge Kooperation zwischen den Betrieben und Schulen im Rahmen von Praktika, auch wenn das System weiterhin eher schulzentriert bleibt. In den letzten Jahren wurde viel getan, um die Wirtschaft stärker einzubinden. Ein wichtiger Meilenstein war die Einrichtung der Sectoral Expert Councils (SECs) im Jahr 2016. Diese Branchenräte bringen Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Ministerien und Bildungseinrichtungen an einen Tisch. Ihre Aufgabe ist es, die Ausbildung besser auf die Anforderungen der Wirtschaft abzustimmen, Qualifikationsrahmen mitzugestalten und die Qualität der praktischen Ausbildung zu sichern.

Damit nehmen die SECs in Lettland eine ähnliche Rolle ein wie Kammern und Fachverbände in Deutschland – sie sind Brückenbauer zwischen Wirtschaft, Bildung und Staat. Gewerkschaften sind in diesen Gremien ebenfalls vertreten und bringen die Perspektive der Beschäftigten ein.

Agnese Lahr, Projektleiterin bei der Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk

Sitzung eines SEC im Rahmen von SEC-pLus. Bild: ZWH

SEC -pLus wird im Rahmen der bilateralen Kooperation zwischen dem deutschen und dem lettischen Bildungsministerium durchgeführt. Welche Ziele haben die Ressorts Ihnen für das Projekt mit auf dem Weg gegeben und wie äußert sich die Einbindung in diese Kooperation in der Projektarbeit?

Das Projekt SEC-pLus ist Teil der seit über zehn Jahren bestehenden deutsch-lettischen Bildungszusammenarbeit. Im Zentrum steht dabei nicht die Entwicklung fertiger Produkte für die Bildungsarbeit, sondern das Empowerment der Akteure – also die Stärkung der vorhandenen Strukturen und Kompetenzen.

Die beteiligten Ministerien haben die Projektpartner ausdrücklich ermutigt, ihre Aktivitäten auf die Weiterentwicklung der SECs als handlungsfähige Akteure zu konzentrieren. Es geht darum, dass die Mitglieder der Branchenräte lernen, ihre Verantwortung in der Gestaltung der Berufsbildung aktiv wahrzunehmen und ihre Stimme in bildungspolitische Entscheidungsprozesse einzubringen.

Ein besonderer Fokus liegt auf der Verbesserung der Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Akteuren – sowohl innerhalb Lettlands als auch zwischen den deutschen und lettischen Partnern. Themen wie die regionale Fachkräfteprognose, die strategische Ausrichtung der SEC-Arbeit und eine engere Einbindung der Betriebe in die Ausbildung stehen dabei ganz oben auf der Agenda.

Wir möchten die SECs befähigen, in Zukunft selbstbewusst und eigenständig die Modernisierung der Berufsbildung in ihren Branchen mitzugestalten.

SEC-pLus läuft von Juni 2024 bis Mai 2026. Was sind die wichtigsten bisherigen Ergebnisse des Projektes, wie sieht die „Halbzeitbilanz“ aus?

Nach dem ersten Projektjahr zieht das Konsortium eine ausgesprochen positive Zwischenbilanz. Die Kommunikation zwischen den Branchenräten und dem Bildungsministerium ist spürbar intensiver geworden. Themen, die bislang eher isoliert betrachtet wurden, werden nun gemeinsam diskutiert – etwa die Prognose des Fachkräftebedarfs in den Regionen oder die künftige Rolle der SECs in der Modernisierung von Ausbildungsstandards.

Zahlreiche Workshops, Diskussionsrunden und zwei Studienreisen haben stattgefunden. Besonders wertvoll war der Austausch mit deutschen Expertinnen und Experten während der Studienreise nach Düsseldorf und Südthüringen, wo die lettischen Partner Einblicke in die Struktur der dualen Berufsbildung, die Ordnungsarbeit des BIBB und innovative Bildungsstätten wie die „Lehrfabrik Möbelindustrie“ erhielten.

Auch auf lettischer Seite herrscht große Aktivität: Die SECs der drei beteiligten Branchen – Holzindustrie, Metallverarbeitung, Maschinenbau und Landwirtschaft – arbeiten eng zusammen, besuchen gegenseitig ihre Sitzungen und tauschen sich regelmäßig über Herausforderungen und Lösungsansätze aus. Diese neue Kultur der Zusammenarbeit ist eine der zentralen Errungenschaften des Projekts bisher.

Studienbesuch in der Lehrfabrik Möbelindustrie in Löhne im Rahmen von SEC-pLus. Bild: ZWH

Welche Hürden haben Sie im Rahmen der Projektarbeit bereits bewältigt und welchen Herausforderungen sehen Sie sich noch gegenüber?

Wie so oft in der internationalen Zusammenarbeit liegt eine der größten Herausforderungen in den begrenzten zeitlichen Kapazitäten der beteiligten Fachleute. Viele Mitglieder der SECs führen eigene Betriebe oder sind in anderen Projekten engagiert. Dennoch ist das Engagement enorm. Wir erleben eine beeindruckende Bereitschaft, sich einzubringen und voneinander zu lernen.

Eine zentrale Herausforderung für die kommenden Monate wird darin bestehen, die Kultur der Zusammenarbeit langfristig zu sichern. Das Projektteam möchte sicherstellen, dass die gewachsenen Strukturen und Kontakte auch nach Projektende bestehen bleiben – etwa in Form von Fachnetzwerken, regelmäßigen Dialogpartnerschaften oder gemeinsamen Fachveranstaltungen.

Impression aus einem Workshop zur Strategie der Expertenräte. Bild: ZWH

Umweltschutz sowie soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit sind für das Handwerk wichtige Themen. Welche Rolle spielen die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit im Projekt?

Umweltbewusstsein, Ressourceneffizienz und soziale Verantwortung spielen besonders in der Landwirtschaft, aber auch in den Holzindustrie, Metallverarbeitung und Maschinenbau eine zunehmend wichtige Rolle.

Die Diskussion um „grüne und digitale Transformation“ zieht sich durch viele Aktivitäten des Projekts. In den Workshops wird auch darüber diskutiert wie die Ausbildungsinhalte an neue technologische und ökologische Anforderungen angepasst werden können. Ziel ist es, Nachhaltigkeit nicht nur als Zusatzthema, sondern als festen Bestandteil der Berufsbildung zu verankern – sowohl in Lehrplänen als auch in der Ausbildungspraxis.

Darüber hinaus trägt die aktive Einbindung der Betriebe und Sozialpartner in die Gestaltung der Berufsbildung entscheidend zur sozialen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit bei. Wenn Unternehmen, Verbände und Arbeitnehmervertretungen gemeinsam an Ausbildungsinhalten und Qualifikationsstandards arbeiten, entstehen passgenaue, zukunftsfähige Kompetenzen, die langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe sichern. Die Beteiligung stärkt die Verantwortung der Unternehmen für die eigene Fachkräftesicherung und bindet sie stärker in gesellschaftliche Entwicklungsprozesse ein. Gleichzeitig führt dieser Dialog dazu, dass Aus- und Weiterbildung inklusiver, innovativer und resilienter gegenüber wirtschaftlichen und technologischen Veränderungen werden.

Wer sind Ihre maßgeblichen Unterstützer im Projekt?

Getragen wird SEC-pLus von einer starken Partnerschaft:

  • Lettisches Bildungsministerium (IZM) und Arbeitgeberverband LDDK als zentrale nationale Akteure,
  • Deutsch-Baltische Handelskammer (AHK) als Projektpartner vor Ort,
  • Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk (ZWH) als deutsche Fachpartnerin,
  • sowie die Handwerkskammer Südthüringen, die mit praxisnahen Beiträgen, Studienreisen und Fachworkshops wichtige Impulse liefert.

Unterstützt wird das Projekt zudem durch das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), die die bilaterale Berufsbildungskooperation federführend gestalten.

Workshop innerhalb des Projekts SEC-pLus. Foto: ZWH

Wie könnte sich das aktuelle Projekt weiterentwickeln und wie könnte die Zusammenarbeit zukünftig gestaltet werden?

Die lettische Seite zeigt großes Interesse an Themen, die über die klassische Berufsbildung hinausgehen – etwa Berufemarketing und Nachwuchsförderung in MINT-Berufen.

Auch die stärkere Einbindung von Betrieben in die Berufsorientierung und die regionale Fachkräftesicherung bleibt ein wichtiges Zukunftsthema. Hier sieht das Projekt großes Potenzial für zukünftige Kooperationen.

Lettland bringt eine hohe Dynamik und Offenheit mit – viele Ideen, wie man Berufsbildung neu denken kann. Das ist eine großartige Grundlage für langfristige Zusammenarbeit.

Welche Interessen hat Ihre Organisation, die ZWH, an dieser Zusammenarbeit? Welchen Nutzen ziehen Sie daraus?

Für die ZWH bietet SEC-pLus nicht nur die Möglichkeit, ihr Know-how in die internationale Zusammenarbeit einzubringen, sondern auch selbst neue Perspektiven zu gewinnen. Der Austausch mit den lettischen Partnern bereichert die Arbeit der Organisation, insbesondere in Fragen der Governance, der Ordnungsarbeit und der Modernisierung von Ausbildungsstandards.

Wir verstehen internationale Zusammenarbeit als Lernprozess in beide Richtungen. SEC-pLus zeigt, dass europäische Partnerschaft bedeutet, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen – für starke Berufsbildung, für Fachkräftesicherung und für nachhaltiges Wirtschaften.

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